4:3-Sieg gegen Lettland:Letzte Chance Powerplay

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In einer mitreißenden Partie qualifizieren sich die deutschen Eishockeyspieler in Köln für das WM-Viertelfinale. Nun treffen sie auf Kanada.

Von Johannes Schnitzler, Köln

Wäre Gary Lineker Deutscher und nicht Engländer, und angenommen, er wäre Eishockeyspieler und nicht Fußballer gewesen, womöglich hätte er dann gesagt: "Eishockey ist ein einfaches Spiel: Zwölf Männer jagen 60 Minuten lang einem Puck nach, und am Ende treffen die Deutschen immer auf Lettland." Vor acht Monaten war das so, als die Mannschaft des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB) sich in der Olympia-Qualifikation in Riga 3:2 durchsetzte. In der Vorbereitung auf diese Heim-Weltmeisterschaft bestritten die Deutschen zwei Testspiele gegen die Letten, das erste gewannen die Balten 4:3, das zweite die Deutschen 2:1, immer war es knapp. Verdammt knapp. Nun also Duell Nummer vier in dieser Saison, der Zehnte der Weltrangliste gegen den Zwölften, letzter Spieltag der Gruppe A in Köln, beide Mannschaften hatten neun Punkte gesammelt. "Langsam reicht's", sagte Bundestrainer Marco Sturm.

Es reichte dann zu einem 4:3 (0:0, 2:1, 1:2) nach Penaltyschießen, knapper geht es nicht. Deutschland steht am Donnerstag (20.15 Uhr) im Viertelfinale gegen Kanada.

"Größeren Druck hatte ich noch nie in einem Spiel für die Nationalmannschaft", sagt Ehrhoff

"Das wird ein Fight werden wie in Riga", hatte Sturm prophezeit und die Ausgangslage mit dem Entscheidungsspiel in einer Playoff-Serie verglichen: "Das ist wie ein Spiel sieben für uns." Nur einer kann gewinnen. Anfang September, als es um die Olympia-Qualifikation ging, sei der Druck noch größer gewesen, fand Kapitän Christian Ehrhoff: "Größeren Druck hatte ich noch nie in einem Spiel für die Nationalmannschaft", sagte der ehemalige NHL-Profi von den Kölner Haien. Damals schüttelten sie den Druck ab durch Tore von Leon Draisaitl, Felix Schütz und Tom Kühnhackl, im Tor stand Philipp Grubauer. Bis auf Kühnhackl waren alle wieder dabei an diesem Dienstagabend in Köln. Im Tor stand NHL-Profi Grubauer (Washington), wie Draisaitl erst am Samstag aus Nordamerika eingeflogen. Thomas Greiss, um dessen umstrittene Internet-Beiträge es am Wochenende einige Aufregung gegeben hatte, war nicht im Kader. "Er ist verletzt", sagte Sturm. Falls er nervös gewesen sein sollte, hatte er sich gut unter Kontrolle. Barfuß und in Badelatschen gab er letzte Interviews, als er zum Mittagessen ging, wünschte er den Journalisten "viel Spaß". Auf dem Eis würde es ernst genug werden.

Sturm hatte seine Reihen für das Gruppen-Finale neu komponiert. Mittelstürmer Draisaitl rückte an die Stelle von Frederik Tiffels zwischen die Nürnberger Patrick Reimer und Yasin Ehliz, den schnellen Tiffels reihte er neben dem erfahrenen Center Felix Schütz und David Wolf ein. Der Plan war, mit vier kompletten Blöcken Druck auf die Letten auszuüben und das Tempo konstant hoch zu halten. In Überzahl kamen die Deutschen zu ihren ersten Chancen, aber sie waren nicht zwingend. Vor dem lettischen Tor baute sich stets ein Spieler als Sichtblende für Elvis Merzlikins auf, doch der 23-Jährige vom HC Lugano behielt den Überblick. In der letzten Minute des ersten Drittels tauchten Reimer und Ehliz frei vor Merzlikins auf, Ehliz hatte zuvor Pech mit einem Pfostentreffer gehabt. Nach 20 Minuten lautete die Schussstatistik 19:4 für Deutschland, doch das Zwischenergebnis war 0:0. Ein zäher Fight.

Die Letten spielten hart an der Grenze des Erlaubten. Von den elf WM-Begegnungen zuvor hatte Deutschland sieben gewonnen, zuletzt in Prag 2015, ein selbstverständlich knappes 2:1. Die Letten seien unter ihrem neuen Trainer, dem kanadischen Stanley-Cup-Sieger Bob Hartley, 56, "noch organisierter", sagte Sturm, "sie warten auf Fehler des Gegners und schlagen dann zu." Die Deutschen versuchten, Strafen zu vermeiden und ihre Bullys zu gewinnen, das Spiel einfach zu halten. Vor Grubauer räumten Ehrhoff und Dennis Seidenberg alles ab, was ein karminrotes Trikot trug. Nur ein Tor gelang weiterhin nicht. Reimer vergab nach Kombination über Ehliz und Draisaitl (27.), Hager scheiterte in Unterzahl an Merzlikins (29.). Es brauchte das dritte Überzahlspiel, ehe David Wolf die Scheibe nach einem Ehrhoff-Schlagschuss zum 1:0 über die Linie drückte (32.). 27 Sekunden später erhöhte Dennis Seidenberg auf 2:0. Der Druck war wie weggeblasen.

Hinten wischte Grubauer mit der Schlägerschaufel die Scheibe aus dem Winkel, die Arena raunte, dann setzte Seidenberg das nächste Zeichen und rammte den 1,88 Meter großen Zemgus Girgensons von den Buffalo Sabres hart aber fair in die Bande. Die Deutschen spielten einfach, und sie spielten einfach gut. Sie leisteten sich nur einen einzigen Fehler. Und die Letten schlugen sofort zu: Gunars Skvorcovs verkürzte zur zweiten Pause auf 2:1 (39.).

Torwart Grubauer konzentrierte sich im Penalty und hielt den ersten , zweiten - und den dritten

Was sich in den letzten Minuten des zweiten Drittels angedeutet hatte, setzte sich im letzten Abschnitt fort. Die Letten erhöhten weiter den Druck auf die Deutschen: Janis Sprukts erzielte den Ausgleich (49.). Und dann unterlief ausgerechnet Kapitän Ehrhoff ein Fehler: Die Strafzeit gegen den 34-Jährigen nutzte Andris Dzerins zu einem mächtigen Schlagschuss, das 2:3 (57.). Letzte Chance für die Deutschen: Powerplay. Und tatsächlich: 33 Sekunden vor Schluss traf Schütz zum 3:3. Verlängerung. Grubauer rettete in vorletzter Sekunde. Zäher kann ein Fight nicht sein.

Grubauer konzentrierte sich in der kurzen Pause vor dem Penaltyschießen noch einmal. Und hielt den ersten. Und den zweiten. Und den dritten. Der entscheidende Schlag, der Lucky Punch, glückte schließlich Tiffels mit dem letzten Versuch.

Eishockey ist ein einfaches Spiel. Und am Donnerstag warten die Kanadier.

© SZ vom 17.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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