10.000 Meter:Raunen in der Mixed Zone

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Der Langstreckenläufer Dieter Baumann erklärt demonstrativ keinen Rücktritt.

Thomas Hahn

Wer Dieter Baumann noch sehen wollte, bevor er wieder nach Tübingen reiste, musste bald nach dem Rennen ins Lichtspielhaus gegenüber dem Stade de France gehen, die Rolltreppe hoch, rechts am Popcornstand vorbei, Saal fünf. Und da saß er dann auch in der gedämpften Atmosphäre eines gepolsterten Vorführraums, gesprächsbereit, leutselig, wenn auch ein bisschen betrübt, denn sein WM-Einsatz über 10000 m war eher kleines Kino gewesen.

Äthiopien feierte einen Dreifacherfolg, Kenenisa Bekele vor Haile Gebrselassie und Sileshi Sihine. Baumann dagegen kam gar nicht ins Ziel, er startete forsch und merkte schnell, dass seine Beine ihn nicht tragen wollten. Es gibt solche Tage im Leben eines Läufers. Meistens fallen sie ins Training, diesmal ins Live-Programm der ARD. "Das ist mir ein bissle unangenehm", sagte Baumann, "aber ich kann es nicht ändern."

Seinen Auftritt hat er trotzdem wieder gehabt. Baumann, der Olympiasieger aus einer anderen Sportära, ist eben nach wie vor eine Institution, ein Mann mit Meinung und klaren Gedanken zu aktuellen Situationen. Es dauerte nicht lang und er steckte mitten in einer Strukturdebatte über neue Wege zu mehr Erfolg.

Er wandte sich gegen die Politik des Deutschen Leichtathletikverbandes, aussichtsreiche Athleten möglichst an einem Ort zusammenzufassen, um sie besser kontrollieren zu können ("Ich bin der Meinung, dass man Leichtathletik individuell betreiben muss."). Er warb für bessere Pflege der Vereine, von "Neschtern", wie er die Organspender des deutschen Sports auf Fachschwäbisch nannte, und zweifelte am Trend, möglichst viele Talente zu Sportsoldaten zu machen. "Vielleicht ist es gar nicht gut, wenn die Leute nur Sport machen." Er mahnte ein Umdenken an und sagte: "Es verändert sich nichts."

Allerdings gibt es inzwischen auch Fragen nach seinen eigenem leistungssportlichen Zustand. Seine Medaillen-Liste bleibt beeindruckend, und immer noch ist der 38-Jährige mit Abstand Deutschlands bester Langstreckler. Aber das Geschäft wird mühsamer für ihn, er sagt selbst, dass er Schwierigkeiten habe, sich noch für die Bahnrennen zu motivieren. Die Frage nach dem Ende war unvermeidlich. "Ich weiß, dass man sich in der Mixed Zone schon zugeraunt hat: Das war sein letztes Bahnrennen." Er erklärte demonstrativ keinen Rücktritt. Olympia 2004 wäre ein schöner Schlusspunkt, die Möglichkeit, dort zu starten, will er sich nicht frühzeitig verbauen.

Sehr lange freilich wird er sich nicht mehr auf der Bahn plagen, die Rennen gegen die Afrikaner dort sind aussichtslos für ihn geworden, und an seine besten Zeiten reicht er nicht mehr heran. Vielleicht bringt ihm die Straße noch Erfolg.

Baumann fiebert auf den New York Marathon im November hin. Ob der Start dort sein Rennen in Paris beeinträchtigt habe? "Das würde ich so nicht sehen." Trotzdem hat er an die 42,195 Kilometer zuletzt leidenschaftlicher gedacht als an die zehn. Und er klang voller Vorfreude, als er sein Programm für die nächsten Wochen vorstellte: Training in Tübingen, eine Woche Aktivurlaub mit den Kindern in Italien, im September ein Halbmarathon in England, schließlich das große Rennen. Und dann? "Wer kennt schon die Zukunft?", sagte Baumann und wandte sich der nächsten Herausforderung zu.

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