23:31 gegen die Niederlande:Totalausfall

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Diesmal feiern nur die anderen: Svenja Huber trottet nach dem letzten Gruppenspiel in Leipzig frustriert vom Feld, während die niederländischen Spielerinnen den Kantersieg gegen Deutschland bejubeln. (Foto: Hendrik Schmidt/ZB)

Deutschlands Handball-Frauen verpassen bei der Heim-WM nicht nur den Gruppensieg, sondern werden gedemütigt und müssen im Achtelfinale gegen die starken Däninnen antreten.

Von Saskia Aleythe, Leipzig

Clara Woltering tigerte. Torhütern sagt man starke Persönlichkeiten nach und wer Woltering beobachtet, erkennt unschwer ihren Ehrgeiz. Es lief die 26. Minute im letzten Gruppenspiel gegen die Niederlande, das deutsche Team lag 8:16 zurück, also tigerte Woltering angefressen durch die eigene Hälfte, zwölf Meter vom Tor entfernt. Kopfschüttelnd, das Gesicht verkniffen, genervt vom eigenen Spiel, drei Bälle hatte sie erst halten können. Diese Partie gegen die Niederlande, sie nagte an ihr. Und noch bevor der Halbzeitpfiff ertönte, klebte auch noch der Ball im Netz fest, Woltering fummelte mit harzigen Händen. Nichts klappte mehr.

Halbzeitpausen können eine dienliche Sache sein, doch schon nach 30 Minuten war Trainer Michael Biegler ratlos, ein 10:18 stand auf der Anzeigetafel. "Da war schon zu sehen, dass gegen diesen Gegner heute nichts mehr geht", sagte er, die Partie noch drehen zu können, war in der Kabine kein Thema mehr. "Ich habe schon einen reellen Bezug zum Leben", kommentierte Biegler süffisant, "da waren Basics nicht da, da war der Glauben nicht da, ich hab das Team lange nicht fighten sehen". In der zweiten Hälfte hielt es den Rückstand immerhin in Grenzen. Was nichts daran änderte, dass der Gruppensieg nun verloren ist und ein vermeintlich schwererer Gegner im Achtelfinale am Sonntag wartet. "Das war heute ein schwarzer Tag", sagte Rückraumspielerin Emily Bölk.

Stürmerfouls, schlechte Pässe, Schrittfehler, es war auch ein Dämpfer für die Moral

Was einen mit der Niederlande erwartet, hatte man von vorneherein gewusst, das Team von Helle Thomsen stand zuletzt bei EM, Olympia und WM im Halbfinale. "Das wird ein ganz anderer Handball", hatte Biegler vorab gesagt, was man dann auch rasch sehen konnte. Die bisherigen Begegnungen gegen Kamerun, Südkorea, Serbien und China hatte die deutschen Frauen vor lösbare Aufgaben gestellt, weshalb man schon im dritten Spiel ins Achtelfinale eingezogen war. Gegen die Niederlande lag das Team nun schnell mit 1:5 zurück, gleich vier technische Fehler unterliefen ihm. Stürmerfouls, schlechte Abspiele, Schrittfehler, es war auch ein Dämpfer für die Moral. Friederike Gubernatis, die zu Beginn der WM befreit aufgespielt hatte, erwischte einen gebrauchten Tag.

Ob er für die zahlreichen technischen Fehler eine Erklärung habe, wurde Biegler gefragt. "Nein", sagte er und ging recht schonungslos in die Analyse. "Das hatte heute eine Qualität, wie ich sie vorher noch nicht gesehen habe", sagte der 56-Jährige und meinte das im negativen Sinne, "mit Anspielen aus vier Metern an den Kreis oder Bogenlampen. Das kann auf dem Niveau nicht funktionieren." Was sich zuletzt schon angedeutet hatte, wurde nun offensichtlich: Im Rückraum haben die Deutschen Probleme. Ihre Offensive hatte sich zuletzt als wackelig erwiesen. In Xenia Smits und Emily Bölk verletzten sich zwei wichtige Spielerinnen kurz vor WM-Start, bekamen aber nach und nach mehr Einsatzzeiten. Bölk verwandelte gegen die Niederlande schließlich einen von fünf Versuchen, Smits kam auf zwei Tore. Im Anschluss wählte Emily Bölk eine vielsagende Formulierung, die ganz zum Spiel passte: "Wir haben 60 Minuten lang versucht, in das Spiel reinzukommen."

Gelungen ist das nicht.

Was besonders schmerzen dürfte, ist auch die Erkenntnis, dass selbst die zuletzt formidable Abwehr in ein Formtief fiel. "Wir hatten nicht die Geschwindigkeit, die man braucht und nicht den Zugriff. Das habe ich nicht erwartet", sagte Michael Biegler. Man hatte das gut beobachten können: Die orangenen Trikots flitzten, die weißen reagierten nur und waren in der Regel zu spät dran. Tempo-Handball hatten die Deutschen bisher kaum spielen müssen, nun hatten sie damit ihre Probleme. "Das war nicht das, was wir können", sagte Kapitänin Anna Loerper, "bei dieser löchrigen Abwehr hat Clara Woltering ein sehr gutes Spiel gemacht". Die wütende Torfrau war angestachelt vom Misserfolg nach der Pause zurückgekehrt und kam noch auf eine gute Quote von 33 Prozent gehaltener Bälle.

Der Blick geht schon nach vorne: "Besser jetzt als später in den K.-o.-Spielen."

Die Kulisse von 6000 Zuschauern hatten die Frauen zuletzt im zweiten Gruppenspiel gegen Südkorea erlebt, Biegler machte Nervosität und Druck aber nicht für den Rückschritt verantwortlich. "Alicia Stolle hat es vielleicht sogar beflügelt, sie konnte hier frei aufspielen", sagte Biegler. Stolle war für die im ersten Spiel mit Kreuzbandriss ausgefallene Kim Naidzinavicius nachnominiert worden und war mit sechs Treffern bei neun Versuchen die erfolgreichste Deutsche. Bei den Niederländerinnen war Lois Abbingh mit neun Treffern am torgefährlichsten, Groot steuerte sechs bei.

"Es wäre noch deprimierender, wenn wir heute auf unserem absoluten Top-Niveau gewesen wären", sagte Bölk und fand schon wieder etwas Positives: "Besser jetzt als später in den K.o.-Spielen." Schon am Sonntag um 20.30 Uhr steht das Achtelfinale gegen die starken Däninnen an. "Wir brauchen jetzt nicht lange rumheulen", sagte Anna Loerper und machte einen überzeugten Eindruck, die Niederlage gegen die Niederlande schnell aus dem Kopf zu bekommen zu können. "Vielleicht erwischt der Gegner ja auch mal einen schlechten Tag", sagte Clara Woltering, "das wäre mit persönlich ganz recht".

© SZ vom 09.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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