Ô Cólùmnãò:Tolle Papierform

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Die Teambroschüren sind wie Gefäße voller Utensilien, die einst in den Kugeln der Kirchturmspitzen versteckt wurden.

Von René Hofmann

Doch, es gibt sie noch. Der Trend geht zwar auch bei Olympia zum Digitalen, aber alles hat er noch nicht erfasst. Es gibt noch Mannschaften, die sich in gedruckter Form darstellen, in liebevoll gestalteten Broschüren, eine jede anders. Manche sind schmal und dünn wie Reclam-Büchlein, andere groß und dick und fast so farbenfroh wie früher der Quelle-Katalog war. Der Trend geht auch zum Einheitlichen bei Olympia, zum Genormten. Aber die Mannschaftsbroschüren setzen da einen Kontrapunkt. Wer in ihnen blättert, erfährt viel. Nicht nur, wie viele Sportler das Land in welchen Disziplinen geschickt hat. Das verraten einem die IOC-Computer, die überall herumstehen, viel schneller. Die Hefte sind eher wie die Gefäße voller Utensilien, die früher in den Kugeln der Kirchturmspitzen versteckt wurden - als Kapseln mit Zeitzeugnissen, als ungewisser Gruß an eine noch ferne Zukunft.

Wie es um Griechenland derzeit steht, lässt sich aus dem Heft über das Hellenic Olympic Team ganz gut lesen. Es steht etliche Male gleich auf den ersten Seiten. Der Präsident des Nationalen Olympischen Komitees und der Chef de Mission sind froh, dass sie es geschafft haben, trotz der Wirtschaftskrise 89 Athleten nach Rio gebracht zu haben; vor acht Jahren in Peking gingen 152 Griechen an den Start. Das Land ist stolz auf seine aktuellen Sportler, das ist aus den 106 Seiten herauszulesen. Und es ist auch immer noch stolz darauf, 1924 in einem ganz besonderen Wettbewerb Gold errungen zu haben: Bei den Spielen in Paris gab es auch einen Wettstreit der bildenden Künstler. Es siegte Konstantin Dimitriadis mit seiner Skulptur "Der Diskuswerfer", wie im Medaillenspiegel mit einem Sternchen vermerkt ist.

Das Medaillen-Ranking pflegen alle Nationen. Einige aber pflegen es mit vielen Sternchen. Die Letten führen in ihrem Heft zum Beispiel auf, wie viele Medaillen sie einst unter russischer Flagge* holten (*ein Mal Bronze 1912) und wie viele sie zur Bilanz der Sowjets** beisteuerten (**von 1952 bis 1988 insgesamt 51). Außerdem ist die Nation, so steht es geschrieben, stolz auf ihre Opern-Diven Elina Garanca und Kristine Opolais, auf die Erfinder des Grafikprogramms Infogr.am und vermutlich auch auf die Uniform des Olympiateams, denn die besteht aus atmungsaktiven und nahtlosen Stoffen, wie herausgestellt wird.

All das ist beeindruckend. Das beeindruckendste Heft aber hat Georgien herausgebracht. Es zeigt auf dem Titelbild eine baumhohe Skulptur fünf kunstvoll ineinander verschlungener Ringe, von der leider offenbleibt, auf welchem Parkplatz sie steht. Dahinter aber wird wirklich jedes Informationsbedürfnis gestillt. Alle aktuellen georgischen Athleten, alle Trainer, alle Sportler, die je für das Land eine Medaille gewannen, sind mit Bildern aufgeführt, das Werk sieht aus wie ein mit akribischer Sammelleidenschaft gefülltes Panini-Album. Selbst alle Journalisten, die Georgien je zu Olympia schickte, sind aufgeführt. Die aktuellen mit Farbfotos. Eine wahre Pracht! Nur eines sticht ins Auge: Viele Frauen sind nicht darunter.

© SZ vom 05.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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