Wellness-Urlaub:Trend zum Wellnepp

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Kein Zweig im Tourismus boomt derzeit so stark wie die Wohlfühlindustrie. Doch die Heileffekte vieler Therapien sind umstritten. Verbraucher gehen oft dubiosen Anbietern auf den Leim.

Bettina Winterfeld

Früher kurierten die Menschen ihre Zipperlein mit dem aus, was ihnen die Natur vor die Haustüre legte: Ringelblumen für die Salbe, Kamille für den Tee oder Steinöl für das Bad. Die Bauern betteten ihre strapazierten Rücken im gesunden Stroh zur Ruhe, ließen sich von den Heilkräutern erfrischen und erfanden nebenbei das gute alte Heubad.

Eine Gesichtsmassage muss professionell angewendet werden, um die richtige Wirkung zu erzielen. (Foto: Foto: ddp)

Notfalls wurde auf Anraten eines Allgäuer Pfarrers in aller Herrgottsfrüh Tau getreten, und wenn alles glatt lief, bewilligte die Kasse eine Kneippkur.

Dann brachten Globalisierung und Gesundheitsreform die Wellness-Welle zum Aufschäumen, und seither ist einiges durcheinander geraten. Heute quartieren sich gestresste Städter in "Wohlfühl-oasen" ein, die wie elegante Kuhställe eingerichtet sind, um sich in der mit pseudotoskanischem Pomp geschmückten "Beautyfarm" nach Art ägyptischer Pharaoninnen die Haut salben zu lassen.

Nach dem "Kleopatrabad" wechseln sie Kabine und Kontinent, entschweben zu einer von hawaiianischen Gesängen begleiteten Lomi-Lomi-Massage, lassen sich beim japanischen Reiki die Hand aufs Herz legen oder versuchen, mittels eines von Getrommel und beschwörenden Formeln begleiteten indianischen Schamanenrituals ihre "Seele zum Schwingen" zu bringen.

Danach haben sie dann eine Menge Geld ausgegeben, gleichzeitig aber das beruhigende Gefühl, sich etwas Gutes gegönnt und in ihre Gesundheit investiert zu haben. Eine Haltung, die bisweilen an den mittelalterlichen Ablasshandel erinnert.

In der schönen, neuen Wellnesswelt - der lukrativsten Wachstumsbranche der Tourismusindustrie - sind in den vergangenen Jahren immer exotischere Behandlungen auf den Markt gekommen. Dabei ist die Grenze zur Esoterik oft schwammig, eine gewisse Beliebigkeit unübersehbar.

Entsprechend fragwürdig sind die Heileffekte. Zum einen mangelt es vielen Therapeuten an einer fundierten Ausbildung, zum anderen wird häufig übersehen, dass die auf ein anderes Klima, andere Ernährung und kulturelle Bezüge abgestimmten Therapien völlig aus ihrem Kontext gerissen werden. Es ist fraglich, ob man sich in einem Alpenhotel mit der Light-Variante eines ayurvedischen Stirnölgusses besser regenerieren kann als mit den bewährten, wesentlich angepassteren Hausmitteln der Bergwelt.

Mehr als oberflächliche Streicheleinheiten sind dabei oft gar nicht möglich, und so manches überteuerte Angebot hat mehr mit Wellnepp als mit Wellness zu tun. Doch sei's drum, auch in der Schulmedizin hat der Placebo-Effekt seine Berechtigung.

Außerdem darf der Streicheleffekt nicht unterschätzt werden. Bei vielen Erholungssuchenden, so berichten Ärzte und Physiotherapeuten übereinstimmend, bewirke allein schon die liebevolle, aber absichtslose Berührung der Haut und die Beschäftigung mit ihrer Seele wahre Wunder - egal unter welchem Etikett die Zuwendung verabreicht werde.

© SZ vom 15.4.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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