Wellness:Sehnsucht nach Unendlichkeit

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Luv oder Lee: Wer das erste Mal segelt, wird entweder seekrank oder süchtig für immer

Martina Scherf

Im letzten Ouzo schwimmt ein Tropfen Wehmut. Geht wirklich in wenigen Stunden der Flieger nach München? Unvorstellbar weit weg, das Zuhause, dabei liegen wir in der Marina von Levkas im Ionischen Meer, nicht am Ende der Welt, warten auf das Taxi nach Athen - und können uns nicht trennen. Nicht vom Schiff, nicht voneinander. Warum fahren wir nicht einfach weiter zum nächsten Hafen, immer weiter, jetzt, da wir in zwei Wochen das Wesentliche gelernt haben über Luv und Lee? Und vor allem: Wo eine Sehnsucht von uns Besitz ergriffen hat, die wir nie kannten: die Sehnsucht nach mehr, immer mehr Meer. Nach der Unendlichkeit des Horizonts. Nach Wellen und Wind. Nach dem Knattern der Segel und dem Klappern der Falle am Alumast. Nach dem Schauspiel der Sonnenuntergänge und Sonnenaufgänge, die wir an keinem Tag versäumt haben - wo wir doch zu Hause nie rechtzeitig aus den Federn kommen.

(Foto: Fotos: Photodisc)

Noch gestern früh sprangen wir nachtwarm aus dem Schlafsack direkt ins morgenfrische Meer, durchschwammen die Bucht, die wir nur mit ein paar Ziegen teilten. So vieles gäbe es noch zu entdecken: unbewohnte Inseln, bizarre Küsten, den legendären Hummer in der Hafenkneipe von Vathi auf Ithaka - und den Rest von Pauls Lebensgeschichte. Seine Meinung zum Tarifstreit und zur Musik von John Cage kannten wir schon am zweiten Abend. Was man eben so redet zu sechst auf einem Boot, mitten in der Ägäis, nachts in einer Bucht, über die sich ein gigantischer Sternenhimmel wölbt. Doch seltsam: Mit jeder zurückgelegten Seemeile vergrößert sich der Abstand zum früheren Leben. Nur eins wüssten wir gerne noch, Paul: Wie war das damals bei deiner Weltumsegelung, mit dem Tsunami vor der Küste von Tasmanien?

Weit weg und doch im Hier und Jetzt

(Foto: N/A)

Es ist mit dem Segeln so eine Sache. Wer es probiert, vor allem auf dem Meer, hat zwei Möglichkeiten: Entweder, er wird so seekrank, dass er nie wieder auf ein Boot steigt. Oder aber er ist auf Droge, für immer. Dazwischen gibt es nur wenige Abstufungen. Bei Paul ist die Leidenschaft leicht zu erklären. Wer an der Alster aufwächst, steht mit einem Bein im Boot. Aber wir Bayern? Sabine hat sich von einer Freundin, eher zögerlich, zum ersten Törn überreden lassen. Seither ist sie infiziert, denn: "Du bist nirgends soweit weg vom Alltag und gleichzeitig so im Hier und Jetzt wie beim Segeln"

Unsere Wassertaufe haben wir vor drei Tagen bestanden: Im nächtlichen Gewittersturm, Wind gegenan, steuerte Charly die "Äolos" wie der fliegende Holländer durch Regen, Blitz und Donner, die aus einem dämonisch finsteren Himmel auf uns niederprasselten. Am Morgen dann allgemeine Beruhigung. Die letzte Wolke, die sich in der Dämmerung verzog, enthüllte eine fette, gelbe, halb verdeckte Kugel am Himmel - Mondfinsternis! Ein gigantischer Anblick. Die Götter hatten sich mit uns versöhnt. Anlass für Charly, Mozart aufzulegen. Später, im Hafen gingen alle erleichtert über das bestandene Abenteuer von Bord. Aber: Keiner nahm den Bus nach Athen. Alle waren zur Stelle, als es am nächsten Morgen hieß: "Leinen los!"

Zur Versöhnung eine Mondfinsternis

Und dann ist es sofort wieder da, das Glücksgefühl, wenn die "Äolos" sich sanft geneigt bei drei bis vier Windstärken durchs tiefblaue Wasser schiebt. Das leise Gurgeln am Ruderblatt, das sanfte Rauschen des Winds im strahlend weißen Segeltuch. Aus den Lautsprechern sang Christie Moore von irischer Traurigkeit, während die Crew sich am Anblick der vorbeiziehenden Felsküste von Zakynthos berauschte. Sonja lag wie eine Windsbraut auf dem Vorschiff, Hans hatte es sich mit einem 800-Seiten-Wälzer auf dem Heck gemütlich gemacht. Charly und Paul diskutierten die Vorzüge von Bobby Schenks digitalem Astro-Navigationssystem, während Miriam, in gebügelter, royal-blauer Helly-Hansen-Bluse glücklich am Ruder stand. Paul, dessen Poloshirt wohl schon bei der Weltumsegelung dabei war, gab vom Navigationstisch den neuen Kurs aus: "120 Grad, ein wenig abfallen!". Jeder ist für sich auf dem Schiff, und doch sind wir unzertrennlich. Gemeinsam trotzen wir Wind und Wellen, lachen, streiten, essen, schwimmen, singen wir, ja, auch das.

In der letzten Nacht lagen wir unter der hell erleuchteten Milchstraße in einer stillen Bucht, das Schiff sicher am Anker, der Mast wie eine Kompassnadel in den Gestirnen schwankend. Ganz nahe der Unendlichkeit.

PS: Sabine hat sich, kaum zu Hause angekommen, zum Segelkurs angemeldet: "Sportboot Binnen" auf dem Starnberger See. Miriam, die seit Jahren auf dem Wannsee segelt, will nächstes Jahr mit dem "Sportküstenschifferschein" zurückkehren. Hans und Sonja wollen einfach wieder dabei sein, bei diesem Trip durch griechische Gestade. Wo einst Odysseus aufbrach, ist auch heute noch ein schönes Ankommen. Und dann nichts wie rein in die Hafenkneipe von Vathi, Hummer bestellen.

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