Tunnel-Lift in Interlaken:2600 Meter in 20 Minuten

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Wettrüsten in den Alpen: Das Schweizer Interlaken plant den längsten Tunnel-Lift der Welt. Möglichst viele Touristen aus aller Welt sollen so möglichst schnell auf das Jungfraujoch gehievt werden.

Gerd Zitzelsberger

Jahrzehntelang ist nicht viel geschehen, aber jetzt bricht ein wahres Wettrüsten in den Alpen aus. Diesmal geht es nicht darum, geheime Bunker und Befestigungsanlagen in die Berge zu sprengen, sondern um spektakuläre Anlagen für Touristen.

In dem Schweizer Ferienort Interlaken in den Berner Alpen jedenfalls hat es sie jetzt nicht ruhen lassen, was 60 Kilometer weiter südlich geplant ist: Dort, am Klein Matterhorn, mit 3883 Metern über dem Meeresspiegel schon jetzt die höchste Aussichtsplattform Europas, will die örtliche Bergbahngesellschaft den Gipfel höher legen.

Eine 117 Meter hohe Pyramide aus Beton, Stahl und Glas soll den Berg zum 77. Viertausender-Gipfel der Alpen machen. Die Interlakener sind ebenfalls von Viertausendern umgeben. Jungfrau, Eiger und Mönch bilden die markanteste Dreiergruppe der Alpen. Die wirtschaftlich wichtigste Touristenattraktion allerdings bildet die Zahnradbahn auf das Jungfraujoch. Dort liegt auf 3580 Metern der höchstgelegene Bahnhof Europas.

Unique Selling Point geschaffen

Ein Aufstocken wie am Klein Matterhorn kommt also nicht in Frage. Aber das Projekt der Jungfraubahn Holding AG klingt nicht weniger futuristisch: Sie wollen das weltweit längste Tunnel-Liftsystem in den Felsen sprengen. Durch diesen schrägen Tunnel soll ein Schnellaufzug die Touristen auf das Joch hieven. In 20 Minuten - acht Minuten Aufenthalt zur Akklimatisierung in einer Mittelstation bereits eingerechnet - würde man damit einen Höhenunterschied von 2600 Metern überwinden.

Damit, so schwärmte Jungfraubahnen-Präsident Thomas Bieger am Dienstag auf Neu-Schwyzerdütsch, würde am Rande des Weltnaturerbes ein neuer unique selling point geschaffen - eine Attraktion, wie sie keine andere Gebirgsregion hat.

Wie drüben am Matterhorn auch, ist das Projekt bislang allerdings erst einmal ,,angedacht''. Noch hat die Jungfraubahn Holding AG, so Bieger, keine geologischen Untersuchungen machen lassen oder Gespräche mit Behörden und Umweltorganisationen geführt.

Aber immerhin eine Machbarkeitsstudie hat die Bergbahngesellschaft jetzt in Auftrag gegeben, und allein der Plan eines solch futuristischen Projektes, so hofft man in Interlaken, werde für Aufmerksamkeit bei potenziellen Touristen sorgen. Vor 112 Jahren, beim Baubeginn der Zahnradbahn auf das Joch, klang das Projekt sicher nicht weniger futuristisch, und eine reine Seifenblase ist auch der neue Plan nicht: Schon jetzt kann schließlich die Zahnradbahn im Hochsommer die Touristenscharen kaum mehr fassen.

702.000 Besucher, weit mehr noch als am Klein Matterhorn, sind vergangenes Jahr auf das Jungfraujoch gefahren. Es gehört damit zu den drei beliebtesten Hochgebirgszielen in Europa, und der Trend zeigt inzwischen wieder nach oben: Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Passagiere sogar um 13 Prozent. Vor allem aus Asien kommen immer mehr Gäste. 110.000 Koreaner und 125.000 Japaner zählte die Bahngesellschaft im vergangenen Jahr. Diese Besucher aber haben nicht viel Zeit für einen einzelnen Berg.

Kommerzialisierung der Alpen

Der neue Lift würde die Fahrt auf das Jungfraujoch zu einem Halbtagesausflug machen und damit, so Bieger, ,,das Marktpotenzial voll ausschöpfen''. 100 bis 120 Millionen Euro, so eine erste Kostenschätzung, wäre der Bahngesellschaft dafür nicht zu viel. Gegenwärtig dauert eine Fahrt von der Talstation in Lauterbrunnen auf das Joch beinahe zwei Stunden.

Die Interlakener Ideen reihen sich in eine ganze Schar von Großprojekten für den Alpentourismus. So hat der ägyptische Unternehmer Samih Sawaris bereits die ersten Genehmigungen für ein Luxusresort mit mehreren Hotels am Fuße des Gotthard. Es wird mit 140 Hektar die größte Urlaubsanlage der Schweiz. Auf der Schatzalp oberhalb des mondänen Wintersportortes Davos soll ein Hotelturm von 105 Metern Höhe entstehen - die Bevölkerung hat bereits zugestimmt. Und in vielen Wintersportgebieten geht es um Millionen von Euro für neue Beschneiungsanlagen.

Die Schweiz hat trotz schmelzender Gletscher jetzt sichtlich wieder Zuversicht in ihre Zukunft als Fremdenverkehrsnation gefasst. Nicht jedem allerdings ist die Kommerzialisierung der Alpen geheuer. Schließlich seien die Berge eine spirituelle Festung und Inbegriff der Nation, sagen Kritiker. Selbst im schweizerischen Zivilgesetzbuch steht, dass Gletscher und Felsen als herrenloses Gebiet zu gelten haben.

© SZ vom 6.2.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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