Strandarbeiter:Die große Ebbe

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Für viele klingt ein Arbeitsplatz am Strand wie ein schöner Traum. Doch die Wirklichkeit an der Nordseeküste sieht anders aus.

Wenn gegen zehn Uhr die ersten Touristen ihren Wattspaziergang beginnen oder sich zum Sonnen auf den Tossener Deich legen, macht Rainer Segebade gerade eine Pause.

Arbeiter in St. Peter-Ording tragen Strandkörbe. (Foto: Foto: dpa)

Seine Arbeitsschuhe lassen den Holzboden des Häuschens knarren, während er die Kaffeemaschine füllt. "Im Winter ist hier alles weg. Auch diese Bude", sagt er und setzt sich an einen kleinen Tisch. Auch er selbst ist im Winter nicht mehr da. Jedes Jahr Ende Oktober wartet sie wieder auf ihn - die Arbeitslosigkeit.

Der 44-Jährige ist Saisonarbeiter. Seit fünf Jahren kümmert er sich mit zwei Kollegen um die Strandabschnitte im Nordseebad Tossens und Eckwarderhörne (Kreis Wesermarsch). Er ist Mädchen für alles.

Ballons auf dem Meeresboden

Müll einsammeln und Strandkörbe aufstellen gehört ebenso zu seinem Job wie das Anbringen von Bojen zur Schwimmbegrenzung im Jadebusen. Jetzt, bei Ebbe, liegen sie wie große Ballons auf dem Meeresboden.

Ursprünglich sollte die Arbeit am Strand nur vorübergehend sein. "Eigentlich bin ich Dachdecker", seufzt Segebade. "Aber man kriegt ja nichts." 17 Jahre lang war er in einer Baufirma angestellt, bis vor fünf Jahren Schluss war - aus Arbeitsmangel.

Zumindest im Sommer kann sich Segebade nicht über zu wenig Arbeit beklagen. "Unter neun oder zehn Stunden komm ich hier momentan nicht weg, und dann geht es zu Hause weiter. Manchmal bis 23 Uhr", sagt er.

Zuhause, das ist der elterliche Bauernhof. 60 Kühe und Kälber verlangen nach dem Tagesgeschäft am Strand seine Aufmerksamkeit. Dann heißt es Füttern, Zäune reparieren oder Stroh machen.

Befreiung von Treibgut

Zum Leben reicht der Hof aber nicht. "Heutzutage zählt nur noch die große Masse. Von 60 Tieren kann man nicht existieren", sagt Segebade, und es klingt ein wenig bitter.

Der Strandarbeiter ist im Begriff aufzubrechen, der Kaffee ist ausgetrunken. Segebade muss ins wenige Kilometer entfernte Eckwarderhörne, um dort den Deich von Müll und Treibgut zu befreien.

Einige Stunden später sieht man ihn schon wieder an der Tossener Küste. Im Karohemd und Jeans sitzt er auf einem Trecker. Hinter ihm ein Anhänger voll Sand, der am Strand verteilt werden soll.

Hier stehen zur Zeit riesige Sandskulpturen internationaler Künstler. Die Ausstellung "Sand Art" motiviert vor allem die Kinder unter den Gästen, es den Großen nachzutun.

Zwischen Bierbuden und Wurstständen liegt ein großer Sandberg, an dem die Gäste unter Anleitung ihr Glück versuchen können. Segebade räumt wieder auf.

Was ist Urlaub?

Er schiebt morgens den Sand zusammen, hilft beim Aufbauen und Absperren und kümmert sich bei schlechtem Wetter darum, dass nicht alles im Schlamm versinkt. "Ich sammle auch Treibgut und Seetang ein, damit die 'Kiddies' besser Sandburgen bauen können", sagt er.

Zu Müßiggang bleibt dem Zimmermann, Landwirt und Mädchen für alles im Sommer keine Zeit. "Seit Juni habe ich kein Wochenende mehr frei gehabt", erzählt er.

Das Leben der Touristen, für die er arbeitet, ist ihm fremd. "Urlaub", lacht er, "das kenne ich gar nicht. Das letzte Mal war das in der Schulzeit, eine Klassenreise in den Harz."

Es ist Nachmittag geworden, und der Feierband für den Strandarbeiter rückt näher. In drei Monaten ist erstmal Schluss. Dann ist es wieder Winter und Rainer Segebade wieder arbeitslos.

© sueddeutsche.de/dpa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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