Staudamm contra Denkmalschutz:"Warum bringt ihr uns um?"

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Das historische Hasankeyf im Südosten der Türkei soll einem Staudamm weichen. Originellerweise preist das Bau-Konsortium die Flutung der Stadt als ihre Rettung.

Kai Strittmatter

Wenn sich heute welche zusammen finden und im Geiste Martin Luthers ein Bäumlein pflanzen, dann ist selten Gutes zu erwarten. Schon eher, dass morgen die Welt untergeht. Aus Sicht von Abdül Vahap Kusen droht genau das.

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:Hasankeyf im Südosten der Türkei

Zugunsten eines Staudamms soll die denkmalgeschützte Stadt Hasankeyf geflutet und an anderer Stelle wieder aufgebaut werden.

Kusen ist Bürgermeister von Hasankeyf. Die Stadt soll ersäuft werden, ein Opfer des Ilisu-Staudamms. "Warum tut ihr uns das an", fragt Kusen: "Warum bringt ihr uns um?" Er fragt das die Deutschen, die Österreicher und die Schweizer, die an diesem Tag gekommen sind. Weil die drei Nationen drauf und dran sind, sich im Verein mit der türkischen Regierung zu Totengräbern von Abdül Vahap Kusens Welt zu machen.

Und was für eine Welt. Eine Siedlung in der Vertikalen. 200 Meter steigen die Felswände hier senkrecht hoch. "Weich wie Käse ist der Stein", sagt der Fischer Ahmet, der sich einen ganzen Morgen auf einem alten Lkw-Schlauch über die Wasser hat treiben lassen. Und so haben sie ihn durchlöchert, den Fels. Seit mehr als zehntausend Jahren haben die Menschen hier Höhlen gegraben und am Fels geklebt wie die Schwalben in ihren Nestern. Bis in die siebziger Jahre hinein.

Tief unter einem der träge Tigris und hinten die Berge Mesopotamiens. Byzantinische Kirchen hat man ebenso in den Fels gemeißelt wie Moscheen. Die einzige erhaltene Stadt aus der Antike in diesem Land. Ein ayyubidisches Minarett ragt in den Himmel, darauf reckt sich ein Storch. Käme der 313 Quadratkilometer große Stausee, dann würde sein Kopf wohl gerade noch aus dem Wasser lugen.

Die Babylonier, die Assyrer, die Römer, die Byzantiner, die Araber, die kurdischen Ayyubiden, sie alle haben hier gelebt und ihren Teil in das archäologische Schatzkästlein hineingelegt. Und nun sollen Türken, Deutsche, Österreicher und Schweizer vollbringen, was selbst dem Ansturm der Mongolen nicht gelang - die Vernichtung Hasankeyfs?

"Ich bin sprachlos angesichts der Schönheit", sagt die Frau, die am Mikrophon steht. Sie wendet sich an die Regierungen in Berlin, Wien und Bern: "Kommt her und schaut selbst, bevor ihr euch zu Komplizen eines Verbrechens macht: der Zerstörung eines einmaligen Erbes der Menschheit".

Bianca Jagger heißt die Dame und wurde eben, nicht ganz korrekt und unter sichtbarem Zucken ihrer Augenbrauen als "berühmte Sängerin" angekündigt, wo sie sich doch eher als Menschenrechtlerin einen Namen gemacht hat.

Die Britin Jagger ist dem Kampf gegen den Ilisu-Damm schon länger verbunden: Ursprünglich waren es die Briten, die hier mit den Deutschen bauen sollten. Die Proteste aber waren so laut, dass sich die britische Firma 2002 zurückzog und das Projekt, wieder einmal, platzte.

Das Ilisu-Projekt ist, ähnlich wie andere Riesendämme, ein Kind der fünfziger Jahre. Ähnliche Dämme am Euphrat sind längst gebaut - der Ilisu-Damm jedoch wäre der Erste, der den Lauf des Tigris versperrte. Unzählige Male ist das Projekt geplatzt, unzählige Male wurde es wiederbelebt. Zuletzt vom amtierenden Premier Tayyip Erdogan.

Offiziell hat der Bau schon begonnen: Im August 2006 flog Erdogan ein und gab den Startschuss. Aber das war nur Schau. Die Türkei allein kann den Damm nicht bauen, sie braucht die Hilfe des Auslands: Ein Konsortium aus der deutschen Firma Züblin, der österreichischen VA Tech Hydro sowie mehreren Schweizer Unternehmen wartet ungeduldig auf den Startschuss - und der soll von ihren Regierungen kommen. Die Verantwortlichen in Berlin, Wien und Bern haben abgemacht, eine gemeinsame Entscheidung zu treffen, mit ihr wird jeden Tag gerechnet.

Was die Dammgegner, die sich nun zum Protest in Hasankeyf trafen, besonders empört, ist die Tatsache, dass die Europäer der Türkei zwar Auflagen gemacht haben - diese Auflagen aber nicht öffentlich machen wollen. "Eine vernünftige Umweltprüfung allein würde Jahre brauchen", sagt Ulrich Eichelmann vom WWF Österreich: "Unsere Regierungen jedoch haben der Türkei offenbar signalisiert, dass sie sich schon mit dem Konzept für eine solche Prüfung zufriedengeben würden. Es ist der Wahnsinn. Hier wird an allen Fronten gegen internationale Standards verstoßen." Was zuvor schon der Grund war für die Weltbank wie für die britische Regierung, eine Finanzierung abzulehnen.

Da ist die Sorge, die Türkei könne die Dämme eines Tages benutzen, um den Wasserfluss in die Anrainerstaaten Syrien und Irak zu kontrollieren. Da sind die ökologischen Verheerungen. Und da sind die Zwangsumsiedlungen: 11 000 Menschen verlieren ihre Heimat, weitere 43 000 ihr Land. Ankara verspricht Aufschwung und Arbeitsplätze. "Aber wir haben anderswo gesehen: Dämme bringen nie Wohlstand - immer nur Emigration", sagt Arif Arslan von dem "Verein der Freiwilligen für Hasankeyf".

Originellerweise preist das Bau-Konsortium die Flutung der Stadt als ihre Rettung. "Heute sind die archäologisch wertvollen Monumente großteils in desolatem Zustand, manche verfallen", heißt es auf der Konsortiums-Webseite.

Die Lösung? Ein "Archäologie-Park" und "Tourismus-Magnet": Die 900 Jahre alte Brücke, das Minarett - das alles soll nach oben auf den Berg verpflanzt werden. Besonders schön: die "Lage am See", dem neuen. Im Ort waren schon Vertreter der Baufirmen und brachten Prospekte mit: Darauf waren in Fotomontagen Jetski und Windsurfer zu sehen, auch von möglichem Tauch-Tourismus zu den untergegangenen Höhlen schwärmten die Vertreter.

"Was sollen wir mit Surfbrettern?", sagt Bürgermeister Kusen. "Wir haben nicht einmal genug Brot." Er jedenfalls werde nicht in ein verpflanztes Hasankeyf ziehen: "Wie kann ich am Ufer stehen und ins Wasser blicken, wenn ich weiß, 40 Meter unter mir liegt das Grab meiner Mutter?"

Jetzt steht er hier, zusammen mit Bianca Jagger, österreichischen Naturschützern, deutschen Linken und kurdischen Bauern und pflanzt einen Baum. Einen "Park der Hoffnung" legen sie an. "Wir sind schon oft in letzter Minute gerettet worden", sagt der Bürgermeister. Der Park liegt übrigens nicht in Hasankeyf, sondern ein paar Minuten flussabwärts - im Ort selbst hatte das Gouverneursamt das Baumpflanzen verboten. Hasankeyf steht nämlich unter Denkmalschutz.

© SZ vom 26.3.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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