Station 2: East End:Das Bild des ehemaligen jüdischen Gettos prägen heute Einwanderer aus Bangladesch

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Susanne L. Born

Bangla-Town, besser gesagt die Wohnviertel Spitalfields und Whitechapel, waren einst das jüdische Ghetto Londons. Hier lebten zu Beginn des 20. Jahrhunderts 120.000 Jüdinnen und Juden aus Russland, Polen, Deutschland und Holland.

Für ein Gebet ist immer Zeit (Foto: Foto: Shura Kraëff)

Spuren einstigen jüdischen Lebens sind rund um die Petticoat Lane nur noch fragmentarisch sichtbar. Ein archaisch anmutendes Ladenschild weist auf "Juwelier F. Holt" hin. Und eine andere kaum lesbare Aufschrift indiziert die "Familie Katz" als stolze Besitzerin des "Kosher Deli". Nur der "Beigelshop" in der Brick Lane ist noch da - als vielbesuchte touristische Attraktion droht ihm jedoch der Herztod.

Es sind die Einwanderer aus Bangladesch, die das East End heute prägen. Ein Wandel liegt in der Luft, es ist der Umbruch zwischen den Generationen. Es gibt sie noch, die altmodischen hallenartigen Lebensmittelläden mit Gewürzen aus 1001 Nacht, deren Verkäufer den Strom den Lebens noch am Rieseln der mit Kumin gefüllten Eieruhr ablesen. Daneben glänzt aber schon ein aufgeputztes Restaurant im Designerlook. Davor ein Sariverkäufer, gläubiger Hindu, der versunken in sein Gebetbuch meditiert.

Ein Markt für die Armen

Auf den täglich stattfindenen Märkten in der Brick Lane und in der Slater Street kaufen die Mittellosen ein. Toilettenpapier, Tierfutter, Waschmittel, Kosmetika, Bananen - alles in Massen und zum Dumpingpreis. Hier kümmert es niemanden, wenn das Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist. Aus einem Plattenladen schallt House-Musik aus Bangladesch. "Elemente britischer Popmusik und traditionelle Rhythmen aus meiner Heimat verbinden sich gut", meint Verkäufer Rajah ohne jeden Zynismus und verteilt Flyer zum Auftritt eines DJs aus Dhaka.

Und dann die Gastfreundschaft: Fremde werden mit einer deutlich nickenden Kopfbewegung willkommen geheißen. Erwähnenswert deshalb, weil die Bangladeschi, wie einst die Juden, häufig rassistischen Übergriffen ausgesetzt sind.

Abseits der Brick Lane, der Hauptschlagader des touristischen Eintagesbesuches, kommt das Leben noch ohne westliche Utopien aus: In den Snackshops der unscheinbar wirkenden Nebenstraßen sitzen streng gläubige Muslime mit ihren verschleierten Frauen, in den Händen leckere Döner-Curries und vegetarische Gemüsegerichte. Die Einrichtung dieser einfachen und sauberen Lokale erinnert an den Plastikcharme amerikanischer Highway-Diners - ein Besuch ist empfehlenswert, nicht nur wegen der authentischen Speisen.

Spätestens beim Verlassen gibt es als Sympathiebeweis das breiteste Lächeln, das man sich nur vorstellen kann. Was ist dagegen schon die aufgesetzte Freundlichkeit der Girlie-Bedienung bei Starbucks?

Underground: Aldgate East Tube Brick Lane und andere Märkte, tgl. ab 9 Uhr. Brick Lane Music House, 74 Brick Lane, E1 Tgl. von 10.30 bis 21 Uhr. Zeitungen, Zeitschriften und Musikkassetten aus Bangladesch.

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