St. Patricks Day in Nordirland:Party für ein Phantom

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Von Spirituellem und Spirituosen: Der heilige Patrick ist das Idol der Iren, obwohl niemand weiß, woher er kommt.

H.G. Pflaum

Der Heilige kann nichts dafür. Einen ganzen Landstrich hat man vor wenigen Jahren zum St. Patrick's Country erklärt, ausgerechnet im vorwiegend protestantischen Nordirland; das war weniger eine kirchliche als eine touristische Erfindung, um den Fremdenverkehr in Armagh und Down zu beleben, den beiden Counties im Südosten. Die beiden Orte, mit denen St. Patrick seit Jahrhunderten in Verbindung gebracht wurde, der Wallfahrerberg Croagh Patrick und die Pilgerinsel im Lough Derg, beide in der Republik gelegen, hatten seit jeher den Nachteil, dass ihr Besuch ernsthafte katholische Frömmigkeit voraussetzt und zu viele Unbequemlichkeiten mit sich bringt, die sich mit dem kommerziellen Fremdenverkehr nicht vereinen lassen.

Das Journal der "Friends of St. Patrick" vermerkte im Sommer 2006 voller Zuversicht, der Heilige würde nun das Glück nach Armagh und Down bringen. Das können sie dort gut gebrauchen. Zu lange galt Nordirland als Hort des Terrors, mit dem sich Katholiken und Protestanten gegenseitig bekämpften - wobei der Konflikt der Konfessionen stets auch handfeste politische und ökonomische Hintergründe hatte.

Wer heute durch die Straßen von Newry wandert, kann sich kaum vorstellen, dass das Städtchen nahe der Grenze zur Republik eine Hochburg militanter IRA-Kämpfer war. Nachzulesen zum Beispiel beim IRA-Aussteiger Eamon Collins, der mit "Killing Rage" ("Blinder Hass", 1997) eine ganz andere "Confessio" als der heilige Patrick verfasst hatte, nämlich die Geschichte seiner eigenen Verbrechen. Zwei Jahre später wurde der Mann wegen seiner Bekenntnisse ermordet.

Der Bürgermeister von Newry ist heute nicht der einzige, der die Zeiten der troubles gern ein wenig weiter in die Vergangenheit wegschieben möchte; auch der mörderische Bombenanschlag von Omagh liegt noch keine zehn Jahre zurück.

Und jetzt das Glück durch einen Heiligen? Immerhin erzählt eine der vielen Legenden um Patrick, wie er weise zwei feindliche Brüder versöhnt hat. Der Mann lebte im 5. Jahrhundert, aber jetzt scheint er auch bei den Protestanten zu neuen Ehren zu kommen. Weil er fast ein Jahrtausend vor der Reformation, die bei den Briten ohnehin von oben kam und eine Staatskirche begründete, tätig war, zögert keine der beiden Konfessionen, Patrick für sich zu vereinnahmen. Auch wenn die eine davon letztlich keine Heiligen anerkennt. Hauptsache, er war, wie Karl Mays Winnetou, ein Christ.

St. Patrick, so viel scheint gesichert zu sein, wurde zu Beginn des 5. Jahrhunderts im Süden der römischen Kolonie Britannien geboren. Für den katholischen Bischof Joseph Duffy bedeutet das, der Heilige war ein Bürger des römischen Reichs. Für die Protestanten war er ein Brite.

Duffy schreibt, Patrick soll seine eigentliche theologische Ausbildung in Auxerre erhalten haben und von Gallien aus nach Irland aufgebrochen sein. Dr. Tim Campbell, Direktor des St. Patrick Centre in Downpatrick (im nordirischen County Down) sagt, der Heilige sei niemals in Auxerre gewesen und keineswegs von Gallien, sondern von Britannien aus aufgebrochen, um Irland zu missionieren.

Die Sache mit Gallien erklärt der Protestant mit dem Hinweis, die Katholiken wollen sich einfach nicht vorstellen, sie seien von einem Engländer christianisiert worden; deshalb hätten sie den Umweg über Frankreich konstruiert. Gänzlich übergangen wird dabei, dass Patrick keineswegs der erste Missionar auf irischem Boden war.

So ganz mag man sich in den Köpfen also immer noch nicht von den alten Fronten und Besitzansprüchen trennen. Das St. Patrick Center hat dennoch große Pläne: Man will Programme entwickeln für eine "Cross-Community-Education", eine überkonfessionelle Erziehung, man möchte den St. Patrick's Day wieder spiritualisieren und befreien von den Spirits, den geistigen Getränken.

Campbell träumt sogar von dem Tag, an dem Menschen statt nach Indien zu fliegen, nach Downpatrick (etwa zwei Autostunden nördlich von Dublin, weniger als eine südlich von Belfast) reisen, um dort spirituelle Erfahrungen zu machen.

Das kann dauern. Das Besucherzentrum unterhält die "einzige permanente St. Patrick-Ausstellung der Welt", doch der Spiritualität werden hier deutlich sichtbare Grenzen gesetzt. Die Ausstellung und der Film, der auf einer fünfteiligen Leinwand vorgeführt wird, bewegen sich irgendwo zwischen Folklore und Kitsch.

St. Patrick bleibt ein Phantom. Je konkreter man Spuren seines Lebens und Wirkens zeigen möchte, desto weiter scheint er sich zu entfernen. Man debattiert, ob er wirklich in der Gegend des Strangford Lough im heutigen Nordirland gelandet sei - oder im County Mayo an der Westküste der Republik.

Es gibt kaum gesicherte biographische Daten über ihn, und selbst seine berühmte "Confessio" ist nur als drei Jahrhunderte später entstandene Übersetzung erhalten. Jahr und Ort seines Todes sind ungewiss - aber in Downpatrick zeigt man sein angebliches Grab; die Platte, ein riesiger Granitbrocken, ist eine Errungenschaft der Neuzeit, um die Pilger daran zu hindern, auch noch die letzte "heilige" Erde mitzunehmen. Auch Brigid und Columban, weitere legendäre irische Heilige, sollen darunter ihre letzte Ruhe gefunden haben.

Westlich von Downpatrick liegt Armagh; das Städtchen nennt sich gern "Zentrum des irischen Christentums", der Katholiken wie der Protestanten. Dort soll St. Patrick auf einem Hügel seine "Hauptkirche" gebaut haben, genau dort, wo heute die Kathedrale der "Church of Ireland" steht - in guter Sichtweite der katholischen Kathedrale.

Die Protestanten haben den höheren Hügel, die Katholiken die höheren Türme. In Armagh soll auch der sagenhafte irische Hochkönig Brian Boru begraben sein - an der Kirche der Protestanten.

Würde St. Patrick tatsächlich überall dort gewesen sein, wo man heute den Anspruch auf sein Wirken stellt, so hätte der Heilige nicht nur ständig unterwegs sein, sondern auch ein enormes Alter erreicht haben müssen.

In Dublin soll er getauft haben, am Ort der anglikanischen St. Patrick's Cathedral. Wer zum Hill of Tara will, dem sagenumwobenen Sitz der irischen Hochkönige im County Meath, der muss zuerst an einer kleinen Kirche vorbei, davor steht eine Statue St. Patricks. Vor die vorchristliche Gedenkstätte hat man den Heiligen gestellt - dort soll er das Kleeblatt als Sinnbild der Dreifaltigkeit erfunden haben, um einen König vom Christentum zu überzeugen. Heute ist das Kleeblatt vor allem ein Segen für die Souvenir-Shops der Insel.

Die Erfindung von St. Patrick's Country mag eine säkulare und kommerzielle Angelegenheit sein: Schön ist das befriedete Land dennoch, vor allem jenseits der kleinen Städte. Vom Bauboom, der sich in der Republik innerhalb weniger Jahre gewaltiger Sünden schuldig gemacht hat, ist in der Region im einst reicheren Nordirland wenig zu sehen.

Vermutlich ist jetzt gerade noch die richtige Zeit, zum Beispiel die Mourne Mountains westlich von Newry zu besuchen, die kleinen Küstenstraßen an der irischen See abzufahren und zu irgendwelchen nach dem Heiligen benannten Quellen zu wandern - egal, ob der je dort war oder nicht.

Lohnend sind zum Beispiel die Struell Wells (County Down) mit ihren uralten steinernen Badehäuschen. Oder die Kirchenruinen aus dem 10. Jahrhundert beim St. John's Point, in dessen Nähe sich ein keltischer Steinkreis befindet.

Einen Besuch wert ist die Saul Church, die zwar aus dem 20. Jahrhundert stammt, doch an dieser Stelle soll St. Patrick der Legende nach seine erste Predigt gehalten und die erste irische Kirche errichtet haben.

Vielleicht sollte man sich in dieser Landschaft weniger an die Reiseführer halten als an den eigenen Instinkt und an den Zufall. Und wer wirklich mehr über den Heiligen erfahren möchte, der sollte den Tourismus-Broschüren misstrauen, die allzu gern Legenden als Fakten ausgeben, und stattdessen Patricks "Confessio" lesen.

Am 17. März, dem Tag, an dem er angeblich geboren wurde und gestorben ist, feiern die Iren weltweit den St. Patrick's Day. Nur wenige davon sind sich bewusst, dass die ersten Umzüge zu Ehren des Heiligen in Amerika, anno 1737 in Boston, abgehalten wurden.

Längst profitieren die Brauereien von dem Festtag weit mehr als die Kirchen. Patrick ist eine Art Markenartikel geworden, sein emblematischer Wert ist nicht zu unterschätzen. Peterson, der renommierte irische Pfeifen- und Tabakhersteller, hat unlängst sogar ein neues Modell auf den Markt gebracht, es heißt "St. Patrick's Day"; ein Kleeblatt ziert das Mundstück.

Informationen

Anreise: Mit Aer Lingus von München nach Dublin je nach Verfügbarkeit zwischen 29 und 130 Euro pro Strecke, www.aerlingus.com

Unterkunft: Brooks Hotel, Dublin, Drury Street, Dublin 2, EZ ab Euro 180, DZ ab 200 Euro, Tel.: 00353/1/67 04 000, www.DublinHotelBrooks.com

Westbury Hotel, Dublin, Grafton Street, Dublin 2, EZ und DZ ab 252 Euro, Tel.: 00353/1/67 91 122, www.jurysdoyle.com

Slieve Donard Hotel, Newcastle, Downs Road, Newcastle BT33 0AH, EZ ab 196, DZ ab 228 Euro, Tel.: 0044/28/43 72 10 66, www.hastingshotels.com

Canal Court Hotel, Newry, Merchant's Quay, Newry BT 35 8HF, EZ ab 100, DZ ab 165 Euro, Tel.: 0044/28/30 25 12 34, www.canalcourthotel.com

Weitere Informationen:

www.tourismireland.de, Tel.: 069/66 80 09 50

Tourismusbüro für Nordirland: www.discovernorthernireland.com, E-Mail: info@nitb.com.

In Dublin: infodublin@nitb.com, Tel.:00353/16 79 19 77. In Belfast: info@belfastvisitor.com, Tel.: 0044/28 90 24 66 09.

St. Patrick-Zentrum in Downpatrick: www.saintpatrickcentre.com, Tel.: 0044/28 44 61 90 00, director@saintpatrickcentre.com

© SZ vom 15.3.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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