Skifahren:Fataler Nervenkitzel im Pulverschnee

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In den Alpen werden fast täglich Lawinen-Tote geborgen - trotz aller Warnungen suchen viele die Gefahr fern der Piste.

Von Karin Bühler

München - Als ihn die Schneemassen mitreißen, sieht er nur noch helles Weiß. Zwischen oben und unten kann er nicht unterscheiden. Obwohl er nicht tief verschüttet wird, hat der 54-jährige Tourengeher aus dem Oberallgäu keine Chance, sich zu bewegen.

Lawinenunglück bei Salzburg: "In die Berge kommt jeder ohne Prüfung." (Foto: Foto: AP)

Der Körper fühlt sich an wie einbetoniert. Es ist Sonntag, 13 Uhr. Vor wenigen Minuten ist der Mann am Allgäuer Wannenkopf in einen steilen Osthang eingefahren - obwohl der für Skifahrer gesperrt ist. Kurz darauf endet die Fahrt.

Der Mann hat eine Lawine ausgelöst, die ihn begräbt und größer ist als ein Fußballplatz. Aber er hat Glück: Sein Bein ragt aus dem Schnee. Skifahrer, die den Abgang beobachtet haben, finden den Allgäuer schnell und graben ihn aus. "Zehn Minuten", meint Bernd Zehetleitner von der Oberstdorfer Bergwacht, "hätte er nicht überlebt".

Zwei weitere Lawinen im Allgäu endeten am Wochenende tragischer. Zwei Tourengeher kamen im Schnee ums Leben. Es war das lawinenreichste Wochenende des Winters.

Die bayerische Lawinenwarnzentrale hatte die zweithöchste Alarmstufe für den Alpenraum ausgegeben. Stufe vier bedeutet: große Gefahr. An Steilhängen ist die Schneedecke schwach verfestigt, die Wahrscheinlichkeit hoch, als einzelner Skifahrer ein Schneebrett auszulösen. Der Allgäuer hatte offenbar alle Warnungen ignoriert.

Auch in der Schweiz und in Österreich wurden Skifahrer am Wochenende verschüttet. Die Meldungen reißen nicht ab: Am Montag starben zwei Skifahrer in den Ammergauer Alpen, vier im Schweizer Kanton Glarus, am Mittwoch wurde ein Tourengeher aus Karlsruhe am Warther Horn in Vorarlberg tot aufgefunden.

Die vorläufige Bilanz dieses Winters: vier Lawinentote in den Bayerischen Alpen, 23 in der Schweiz, 39 in Österreich, wo man sonst durchschnittlich 25 Lawinenopfer in jeder Wintersaison beklagt.

Heimtückischer Winter

Patrick Nairz vom Tiroler Lawinenwarndienst spricht deshalb von einem "heimtückischen Winter". Der Schneedeckenaufbau sei in diesem Jahr schlecht, das Fundament schwach, weil lange Zeit wenig Schnee gefallen sei.

Über kritischen Zwischenschichten bildeten sich harte Schmelzharschkrusten oder Oberflächeneis. "Darüber liegender Schnee verbindet sich schlecht", sagt Nairz.

Die Schneekristalle greifen nicht ineinander, die Schichten driften bei Belastung auseinander. Die wärmeren Temperaturen verringern die Gefahr solcher Schneebretter vor den Osterferien nicht.

Nairz rechnet weiterhin mit spontanen Lawinenabgängen unterhalb von 2500 Metern und in südlichen Hanglagen, später auch in Schattenhängen und höheren Lagen.

Die Verlockung des freien Geländes ist trotzdem groß. Spektakuläre Tiefschneebilder aus Magazinen vor Augen, suchen immer mehr Variantenfahrer und Tourengeher die Freiheit abseits glatt gebügelter Pisten.

Optimistischer Fehlschluss

Viele unterschätzen das Risiko. Die Lawine wird sich schon nicht bei mir lösen - glauben sie. "Optimistischer Fehlschluss", nennt der Kölner Sportpsychologe Henning Allmer das. Nach dem Erlebnis auf der Piste wollten viele Skifahrer das positive Gefühl steigern, indem sie das Risiko erhöhen.

Die Gefahr werde unterschätzt, eigene Fähigkeiten überschätzt. Bei Pulverschnee sind Strecken fernab der offiziellen Pisten noch reizvoller, vor allem, wenn schon Spuren durch den Hang führen. Die so genannten Hot Spots, Schwachstellen im Hang, die so explosiv wie Tellerminen wirken, sieht man nicht.

Die Münchner Psychologin Dorothea Böhm sieht beim Befahren risikoreicher Hänge den Kampf des Menschen mit der Natur und sogar unseren Urtrieb zu Tage kommen.

Im Alltag sei schließlich niemand mehr mit dem körperlichen Überleben konfrontiert. Sie sagt: "Für jemanden, der sich beweisen will, hat die rote Hand auf den Warnschildern an der Piste Aufforderungscharakter."

Obwohl Lawinenwarnungen überall veröffentlicht werden und man sie sogar aufs Handy laden kann, beachten sie nur wenige. "Es interessiert normale Skifahrer nicht", sagt der Allgäuer Bergwacht-Ausbilder Zehetleitner.

Bei einer Stichprobe in Balderschwang hatten von den Variantenfahrern 50 Prozent weder Verschüttetensuchgerät noch Sonde oder Schaufel dabei. Niemand kannte die aktuelle Lawinenwarnstufe, obwohl der Lagebericht in den Hotels, an der Seilbahnstation und jeder Kabine der Nebelhornbahn hing.

"Hierzulande", sagt Zehetleitner, "machen die Leute Segelscheine, Tauchscheine, sogar Angelscheine. Aber in die Berge kommt jeder ohne Prüfung."

© SZ vom 17.3.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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