"Sehnsucht Wildnis":Zweisam

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Mario und Ramona Goldstein erkunden in Nordamerika, wie viel Wildnis sie aushalten.

Von Stefan Fischer

Wölfe, Bisons, Bären - allesamt keine gefährlichen Tiere. Das jedenfalls bekommen Mario und Ramona Goldstein auf ihrer abenteuerlichen Reise durch Kanada und Alaska mehrfach versichert von Menschen, die sich auskennen mit Wölfen, Bisons und Bären. Vor allem Mario Goldstein bleibt skeptisch, seine Frau ist etwas unbedarfter. Am Ende ihrer Tour über zwei Sommer hinweg sind sie - abgesehen von Mücken - jedoch nur einmal ernsthaft attackiert worden: von einem brunftigen Wapitihirsch. Weil sie ihn offenbar gereizt haben. Tut man das, dann können auch Wölfe, Bisons und Bären aggressiv gegenüber Menschen werden. Als Beute aber sehen diese Tiere den Menschen nicht an, nicht einmal Bären. Sagen Menschen, die sich die Weite Kanadas oder Alaskas mit diesen Tieren teilen. Also eine gewisse Erfahrung in diesen Dingen haben.

"Sehnsucht Wildnis" heißt der Band, in dem Mario und Ramona Goldstein mit ausführlichen Texten und vielen Bildern von ihrer Reise berichten. In die Wildnis vorzudringen heißt vor allem: sich auf die Natur einzulassen. Sie zu verstehen, so wie die Menschen das vor der Industrialisierung konnten, weil das ihre Lebensrealität war: ganz unmittelbar von und mit der Natur zu existieren. Es geht in dem Buch insofern viel um Respekt und Demut. Wer wie die beiden auf einem selbst gebauten Floß den Yukon über rund 3000 Kilometer bis zur Beringsee hinunterfährt, beherrscht die Natur nicht. Er muss sich ihr anpassen, muss sein Handeln nach ihr ausrichten, um wohlbehalten ans Ziel zu gelangen.

Wobei es dieses geografische Ziel zwar gibt auf dieser Flussreise, auf der sie der Kameramann Patrick Schilbach begleitet hat. Und auch eines auf der ersten Fahrt, die in einem zum Wohnmobil umgebauten Wasserwerfer der bayerischen Polizei durch dünn besiedelte Gebiete Kanadas führt. Aber es ist nicht die Mission der beiden, unbedingt anzukommen. Ihnen liegt an Begegnungen mit Menschen, die sich auf die Wildnis eingelassen haben, und daran, selbst ein Gefühl für sie zu entwickeln.

Das macht "Sehnsucht Wildnis" zu einem lesenswerten Buch. Weil es nicht in erster Linie eine Beschreibung ist von der Überwindung kleinerer und größerer Herausforderungen, weil nicht Erlebnisse zu Extremsituationen aufgebauscht, also nicht Heldentaten besungen werden. Vielmehr lernt man auch als Leser Menschen und Lebensentwürfe kennen, die einem fremd sind. Bekommt einen Begriff dafür, was Wildnis heute noch bedeuten kann, da sich auch im Norden des amerikanischen Kontinents längst die Zivilisation immer weiter voran frisst.

Mario Goldstein schreibt an einer Stelle von der Erfahrung der eigenen Bedeutungslosigkeit - die er nicht als Kränkung empfindet, sondern als Erleichterung: Nehme man sich selbst nicht mehr so wichtig, werde das Leben leichter und mache deshalb mehr Spaß.

Angenehm ist auch, dass die Goldsteins nicht kritiklos verherrlichen, was sie als ihren eigenen Traum empfinden. Sie treffen auf Säufer, Schießwütige, Vereinsamte. Etliche haben in der Wildnis ihren Platz gefunden, einige haben schlicht keinen anderen. Mario und Ramona Goldstein selbst sind noch unterwegs.

Mario und Ramona Goldstein : Sehnsucht Wildnis. Abenteuer in Kanada und Alaska. Knesebeck Verlag, München 2018. 240 Seiten, 35 Euro.

© SZ vom 19.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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