Schiff statt Flieger:1. Lerne, wann man die Kokosnuss isst

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Ein weißer Punkt flirrt vorbei, von unten nach oben. Das ist der Mond überm Bug. Als er verschwunden ist, kracht das Schiff gegen einen Wellenturm. Die Passagiere, die nebeneinander auf den nackten Planken liegen, rutschen allesamt ein Stück zur Seite.

Von Birgit Lutz-Temsch und Jochen Temsch

Der Südpazifik ist kein stiller Ozean. Das Meer schlägt Wassertäler in das tiefe Blauschwarz. Das Schiff stürzt hinein, bohrt sich ins gurgelnde Bodenlose. Man lernt, dass das Schiff nicht fährt, sondern schleudert. Wie eine Achterbahn. Und man vergisst die romantische Vorstellung, im Pareo an der Reling des Fährschiffs zu stehen, umschmeichelt vom lauen Abendwind, im Haar eine Blüte, in der Hand den Cocktail.

"Wann war meine Tetanus-Impfung?" fragt der amerikanische Backpacker hektisch. (Foto: Foto: jt)

Der gewöhnliche Südsee-Tourist hoppt mit dem Flugzeug von Insel zu Insel. Aufregender - und viel billiger - ist es, auf dem Wasser, also wenigstens annähernd so zu reisen, wie es die Abenteurer vor Jahrhunderten taten. Zugegeben, ganz ohne Flieger geht es nicht. Captain Cook hätte für seine Reise nach Tahiti im Jahr 1768 ungefähr 230 Tage Urlaub nehmen müssen, und das nur für den einfachen Weg. Dagegen sind die 30 Stunden Anflug von München ein bequemer Spaziergang.

Aber erst einmal angekommen in der Inselwelt, lohnt es sich umzusteigen. Dabei ist jedoch mindestens so viel Organisationstalent nötig wie es die Royal Society of London bei der Vorbereitung von Cooks Trip gehabt haben muss - denn es gibt keine festen Fährverbindungen. Zwischen einigen Inseln verkehren zwar Schnellboote, für die meisten Abschnitte aber muss man mit Frachtkähnen vorlieb nehmen.

Für deren Fahrplan gilt das alte polynesische Sprichwort: Die Kokosnuss wird gegessen, wenn sie vom Baum fällt. Das heißt: Das Schiff kommt, wenn es anlegt, und es fährt, wenn es ablegt.

Kontakt mit der Bevölkerung ist mit dieser Reiseart garantiert - schon vor dem Betreten des Schiffs. Denn nur die Einheimischen wissen, wann die Fähre wirklich kommt. So lernt man gleich die feste Regel kennen, nach der Polynesier alle ihre Gespräche zu führen scheinen: Sag niemals mehr, als du gefragt wirst.

Was dazu führt, dass man zum Beispiel mit viel Geduld zwar alles über das angeblich bald anlegende Containerschiff "Taporo" erfahren kann, das zwischen Bora Bora und der Hauptinsel Tahiti verkehrt. Vergisst man aber die Frage: "Nimmt das Schiff auch Passagiere mit?", schaut man am Pier ziemlich dumm aus dem Bikini, wenn man nach stundenlangem Warten von der "Taporo"-Mannschaft barsch abgewiesen wird. Eine Alternative verraten die Matrosen nicht.

Der Reisende muss schon selbst auf die Idee kommen, nach einem anderen Schiff zu fragen. Es gibt tatsächlich eines., Das sich Tage später nähernde "Vaenu" veranlasst einen trampenden US-Amerikaner zur hektischen Frage nach seiner letzten Tetanus-Impfung- so betagt ist der Kahn. In der Tat erweckt das Schiff nicht das größte Vertrauen - Beulen im Rumpf, der überpinselte ehemalige Name "Hamburg" und Atoll-große Rostflecken lassen auf nicht geschaffte deutsche TÜV-Prüfungen schließen, die irgendwann in den frühen Siebzigern stattgefunden haben müssen.

Gereist wird auf diesem Gegenteil eines Kreuzfahrtschiffs entweder in Kabinen, die keinen Komfort bieten, oder auf Deck, zusammengepfercht mit den Ärmsten der Einheimischen. Zum Beispiel von Huahine nach Tahiti - elf Stunden lang.

Aber wenn die Einheimischen über die popaa, die weißen Angsthasen, anfangs grinsen und dann aus Mitleid unbedingt ihr Essen mit ihnen teilen wollen; wenn die Leute mit Händen, Füßen und gebrochenem Französisch dem Seekranken Trost spenden; und wenn sie ihm zum Abschied eine kleine verbeulte Südsee-Perle schenken - dann hat man in den elf Stunden Passage mehr erlebt, als die üblichen Südsee-Touristen in vier Wochen Insel-Hopping.

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