Reisen ins Westjordanland:Jenseits des Grenzzauns

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"Je nachdem, wie die Soldaten gerade gelaunt sind": Die Nachrichten über das Westjordanland sind beunruhigend - wieso es sich trotzdem lohnt, in die palästinensischen Gebiete zu fahren.

Interview: Sebastian Erb

Die Alternative Tourism Group (ATG) in Beit Sahur organisiert Reisen durch das Westjordanland und war im vergangenen Jahr Preisträger beim "To Do!-Wettbewerb für sozial verantwortlichen Tourismus". ATG-Geschäftsführer Rami Kassis erklärt, wieso es sich lohnt, auch in die palästinensischen Gebiete zu fahren.

SZ: Die Nachrichten über das Westjordanland sind beunruhigend - warum also sollte man dort hinfahren?

Kassis: Egal ob man es aus geschichtlicher, religiöser oder kultureller Perspektive betrachtet - Palästina ist eine einzigartige Region. Sie ist schon sehr lange besiedelt und Heimat von Christentum, Islam und Judentum. Die Leute kommen auch nach Palästina, um über Konflikte etwas zu lernen. Man kann hier Erfahrungen sammeln wie nirgendwo sonst.

SZ: Ist es nicht gefährlich, dorthin zu reisen?

Kassis: Ich glaube nicht, dass es ein gefährliches Ziel ist. Keinem Touristen oder Pilger, der Palästina besucht hat, ist je etwas passiert. Es ist ein gastfreundlicher Ort hier. Es ist Teil unserer Tradition, Besucher zu beherbergen und uns um sie zu kümmern.

SZ: Welche Menschen besuchen das Westjordanland?

Kassis: Im vergangenen Jahr haben wir 85 Gruppen empfangen, in diesem Jahr erwarten wir mehr. Sie kommen hauptsächlich aus Europa und den USA. Pilger- und Kirchengruppen sind das, Gruppen aus der internationalen Solidaritätsbewegung und andere. Für sie organisieren wir normalerweise den ganzen Aufenthalt. Wir führen sie durch Städte wie Jerusalem, Bethlehem, Hebron, Jericho oder Ramallah. Wir zeigen ihnen auch palästinensische Dörfer und Flüchtlingscamps sowie israelische Siedlungen in der Westbank. Das ist nicht immer einfach, denn man muss viele Checkpoints passieren. Mal wartet man länger, mal kürzer, je nachdem, wie die Soldaten gerade gelaunt sind.

SZ: Was unterscheidet Ihre Organisation von einer gewöhnlichen Reiseagentur?

Kassis: Wir sind eine palästinensische Nichtregierungsorganisation und haben weitergehende Ziele. Wir möchten ein positives Image von Palästina und seinen Bewohnern schaffen und wollen dazu beitragen, dass ein gerechter Frieden in der Region zu Stande kommt. Wir fördern die Begegnung mit Israelis und Palästinensern, mit Juden, Christen und Muslimen. Den Besuchern möchten wir einen Einblick in das normale Leben geben. Seit unserer Gründung im Jahr 1995 ist unser Kredo dabei ein Tourismus, der als zentrales Ziel einen positiven kulturellen Austausch zwischen Gast und Gastgeber hat, Umweltschutz und politische Bildung als wichtig erachtet. Nicht zuletzt soll die lokale Bevölkerung an den Erträgen des Tourismus teilhaben.

SZ: Inwiefern profitiert die lokale Bevölkerung vom Tourismus?

Kassis: Ein gutes Beispiel dafür ist, dass wir Übernachtungen in Privathäusern vermitteln. Diese rund 100 Familien werden dafür bezahlt. Das "Bed & Breakfast"-Programm wird von unseren Kunden übrigens am meisten nachgefragt. Wir generieren auch wichtige Einkünfte für Busunternehmen, Hotels, Touristenführer und das Kunsthandwerkgewerbe. Wir arbeiten daran, dass in Zukunft die palästinensische Infrastruktur mehr genutzt wird. Dafür muss natürlich die Zahl der Touristen in Palästina gesteigert und die Dauer ihres Aufenthaltes verlängert werden.

SZ: Wann werden Bethlehem, Jericho und andere Orte im Westjordanland Touristenziele sein wie alle anderen?

Kassis: Gerade diese beiden Orte sind ja schon bedeutende touristische Ziele. Leider sind nach der zweiten Intifada, der negativen Medienberichterstattung und negativer Reisehinweise Pilger und Touristen zögerlich geworden, die Gegend zu besuchen. Ein weiteres Problem ist, dass die meisten Reisen, die angeboten werden, sich nur auf Israel konzentrieren. Viele Touristen sind sich gar nicht bewusst darüber, welch kulturell reichhaltige Orte es jenseits des Grenzzaunes gibt. Das möchten wir ändern.

© SZ vom 20.03.2008/sonn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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