Reisebuch:Hanswursts Heimat

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Zwei neue Bücher erzählen die Geschichte des Wiener Praters - und beschreiben den Wandel des Vergnügungsareals und seines Publikums.

Von Stefan Fischer

Ehe Kaiser Joseph II. den Wiener Prater vor einem Vierteljahrtausend "ohne Unterschied jedermann" zugänglich gemacht hat, war dieses Terrain dem Adel vorbehalten. Insofern ist es eine schöne Beobachtung von Roland Girtler, dass sich in dem demokratisierten ehemaligen Jagdrevier längst wieder ein Adel herausgebildet hat: Er besteht aus jenen Familien, die seit Generationen Wirtshäuser, Fahrgeschäfte und sonstige Orte der Belustigungen betreiben. Durch Heirat sind viele dieser alteingesessenen Praterfamilien miteinander verbandelt, ganz wie im europäischen Hochadel. Diese Menschen trifft Girtler auf seinem (auffallend schlampig lektorierten) "Streifzug durch den Wiener Wurstelprater", sie sind ihm die Gewährsleute für allerlei Anekdoten, Histörchen und etlichen Tratsch. So umständlich der Autor in seiner liebedienerischen Zuvorkommenheit auch ist: Man bekommt durch seinen wohlwollenden Blick in den Maschinenraum des Amüsierbetriebs ein gutes Gefühl für den Organismus Wurstelprater.

Ursula Storch erzählt die Geschichte des Praters weniger über Personen als über Attraktionen - auch wenn das mitunter in eins fällt, weshalb auch bei ihr der legendäre Ringelspielbesitzer Calafati und der Rumpfmensch Kobelkoff auftreten. Das Vergnügungsareal ist einem steten Wandel unterworfen. So kommt ihm, schreibt Storch, ehe sie von Damenkapellen sowie der Liliputbahn erzählt und die Völkerschauen problematisiert, die Rolle eines sozialen und technischen Versuchslabors zu: Hier "fanden die größten Veranstaltungen statt, hier wurden die innovativsten Erfindungen getestet". Im Prater wurde Wien zur Weltstadt.

Roland Girtler : Streifzug durch den Wiener Wurstelprater. Die bunte Welt der Schausteller und Wirte. Böhlau Verlag, Wien / Köln / Weimar 2016. 256 Seiten, 24,99 Euro. Ursula Storch : Im Reich der Illusionen. Der Wiener Prater, wie er war. Metroverlag, Wien 2016. 160 Seiten, 19,90 Euro.

© SZ vom 07.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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