Reisebuch:Der blaue Planet

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Erschöpfend, aber nicht ermüdend sollen die Informationen in den bis zu tausend Seiten dicken "Guides Bleus" sein. Damit setzt die französische Reiseführer-Reihe seit hundert Jahren Standards. Und dabei schafft sie es, sich immer wieder zu erneuern.

Von Werner Golder

Von Frauen kennt man das, zunehmend auch von Männern: dass sie beim Alter schummeln. Aber von Büchern? Offiziell werden "Les Guides Bleus" 100 Jahre alt. Aber eigentlich sind die blauen Reiseführer aus Frankreich noch ein paar Jahrzehnte älter. Bereits 1841 erschien ein zwischen blaue Buchdeckel gebundener Reiseführer mit dem Titel "Itinéraire descriptif et historique de la Suisse", der für Wandertouristen konzipiert war und den Weg wies zu Sehenswürdigkeiten und folkloristischen Attraktionen. Vorläufig begründete der Band aber erst einmal die Reihe der "Guide Joanne", nach dem Gründer Adolphe Joanne, einem Anwalt und Journalisten aus Dijon.

Erst Ende 1916, als die am Boulevard Saint-Germain in Paris beheimatete Librairie Hachette die Edition mitten im Ersten Weltkrieg übernahm, wurde die Farbe des Einbands zu ihrem Logogramm. Später hatten die Reiseführer keine festen Buchdeckel mehr. Heute - lange unvorstellbar - dekoriert ein Foto die Einbände. An der Farbe Blau änderte das jedoch nichts. Noch ein äußerliches Merkmal blieb bestehen: die zwei mehrfarbigen Lesezeichen aus Leinen.

"Les Guides Bleus" haben in Frankreich Maßstäbe gesetzt wie hierzulande die "Baedeker"-Reihe. Sie sind sich treu geblieben, den sich wandelnden Erwartungen der Benutzer haben sie sich mit Bedacht angepasst. Anfangs konzentrierte sich die nun federführende Pariser Verlagsbuchhandlung auf Frankreich. In konzentrischen Kreisen breiteten sich die touristischen Erkundungen von der Hauptstadt über das gesamte Land aus. Schließlich lagen 18 Regionalführer vor. Marokko war das erste außereuropäische Reiseland der Reihe.

Mit den weiter entfernten und mehrheitlich großflächigen Zielregionen änderte sich der Duktus der Darstellung. Der motorisierte Individualtourist war nun der klassische Benutzer der "Guides Bleus". Für ihn wurde die minutiöse Beschreibung der Anfahrtswege selbst zu den unscheinbarsten Ruinen im wahrsten Sinne wegweisend. Reisepraktische Hinweise wurden ohne explizite Bewertung präsentiert; die Erwähnung allein war Empfehlung genug. Und weil sich auch der Unternehmungslustigste nicht alles ansehen kann, wurden die Informationen in drei verschiedenen Schriftgrößen gedruckt: eine Zwölfpunktschrift fürs Pflichtprogramm, eine Zehnpunktschrift für Detailwissen und eine Achtpunktschrift für Abgelegenes sowie ethno- und soziokulturelle Hintergründe. Für jeden Band wurden im Mittel vier bis acht Autoren verpflichtet.

Gegenwärtig sind in Frankreich 70 Bände lieferbar, zuletzt ist im Juni ein Portugal-Führer erschienen. "Erschöpfend, aber nicht ermüdend" sollen die Informationen der bis zu tausend Seiten starken Bände sein, von denen vor allem von den 1960er- bis in die 1980er-Jahre etliche ins Deutsche übersetzt worden sind. Die drei Klassiker sind bis heute, ganz bildungsbürgerlich: Paris, Italien und Griechenland.

© SZ vom 08.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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