Reisebuch:Das schiefe Land

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"Ein Planet für sich" - die Ostseeinsel Hiddensee. (Foto: Robert Ott/dpa-tmn)

Hiddensee als Planet für sich -Ulrike Draesner beschreibt die Insel in schönen Bildern: schief, leicht überspült, halb beträumt.

Von Stefan Fischer

Die Insel Hiddensee wird immer jünger; jedenfalls ist das der Eindruck, den sie auf die Schriftstellerin Ulrike Draesner macht: Aufs "Reizendste und Unwahrscheinlichste" habe Hiddensee ein Jahrhundert lang einem ausgewachsenen Seepferdchen geglichen. Besieht man sich die Konturen der Insel heutzutage, erkennt man indessen nur noch einen "pubertär-magersüchtigen Vertreter dieser ungewöhnlichen Fischart, dem zwei überkräftige Piercings aus der Nase wuchern". Die einst erwachsene Insel wird also wieder kindlich. Und noch ein anderes Bild hat Ulrike Draesner für Hiddensee, das stets um seine Inselhaftigkeit bangen muss, so nahe sind das Festland und der große Nachbar Rügen, so flach ist vor allem das Boddengewässer am Ostufer: "Ein Planet für sich", so die Autorin beinahe trotzig, "begleitet von seinem Mond, der Fährinsel vor Vitte."

Das erste Mal ist Ulrike Draesner 1997 nach Hiddensee gekommen, mit ihrem Freund, der später ihr Mann und noch später ihr Ex-Mann wurde. Irgendwann hatte sie ihr Kind dabei und einen Hund. Draesner reist, in wechselnder Begleitung, seit dem ersten Besuch beinahe jedes Jahr auf die Insel. "Mein Hiddensee" kann sie insofern zu Recht im Titel ihres Inselporträts behaupten. Sie hat sich die Insel erobert, durch etliche Streifzüge und lange Beobachtungen. Der Band gehört in die charmante "Meine Insel"- Reihe des Mareverlags, wie etwa Fritz J. Raddatz' "Mein Sylt" und Joachim Sartorius' "Mein Zypern".

Hiddensee ist klein, überschaubar, dabei abwechslungsreich. Steht man auf einer Anhöhe, überblickt man die gesamte Insel, so klein ist sie. Überall sieht man also Meer, umso bewusster ist sich Draesner der Landhaftigkeit ihres Rückzugsortes. Er verhilft ihr offenbar zu Bodenhaftung. Man meint, schreibt sie, die Welt der Entscheidungen, der realen, unumkehrbaren Ereignisse hier verlassen zu haben. "Hat man Glück, hängt man schon nach einem Tag selbst ein wenig so im Leben, wie das Land Richtung Meer hängt: schief, aber gehalten, leicht überspült, halb beträumt, halb tangbedeckt, in eigener Zeit."

Es bleiben Barrieren, die Draesner bewusst errichtet, vor allem, indem sie in der dritten Person über sich schreibt. Das bewahrt eine Distanz zwischen ihr und der Insel sowie zwischen der privaten und der öffentlichen Person der Autorin. Sie schreibt beinahe nichts über die Bewohner Hiddensees, und alles Historische, vor allem die DDR-Jahrzehnte, macht sie kenntlich als nacherzählt und eben nicht selbst erlebt. Ihr Buch setzt sich aus Stimmungsbildern zusammen, die in Summe die Atmosphäre auf Hiddensee charakterisieren. Damit ist mehr gesagt als mit der Beschreibung des Offensichtlichen.

Ulrike Draesner: Mein Hiddensee. Mareverlag, Hamburg 2015. 202 Seiten, 18 Euro. Eine Leseprobe stellt der Verlag hier bereit.

© SZ vom 11.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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