Rechner:Das Teilchen-Problem

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Kunst oder Innenleben eines Computers? Beides - dieses Bild zeigt die idealisierte Darstellung eines Schaltkreises im Quantencomputer.

(Foto: Imago)

Quantencomputer arbeiten statt mit Bits mit sogenannten Qbits und gelten als Technologie der Zukunft. Aber wann und wie sie einsetzbar sind, darüber streiten sich die Experten noch.

Von Marlene Weiss

Es ist eine vertrackte Eigenschaft der Zukunft, dass ihr Beginn sich stets nach hinten verschiebt, schließlich ist vorher immer die Gegenwart mit ihrem gnadenlosen Realismus dran. So gesehen sind Quantencomputer eine Zukunftstechnologie: Ihre praktische Realisierung scheint seit Langem unmittelbar bevorzustehen. Und dann dauert es doch noch.

Trotzdem haben sie zumindest das Potenzial, technisch vieles zu verändern. Das Heidelberg Laureate Forum widmet ihnen in diesem Jahr ein "Hot Topic" mit Vorträgen und Diskussionen. "Steht die Welt kurz vor einer neuen digitalen Revolution?", wird in der Ankündigung gefragt. Das ist tatsächlich eine spannende Frage. Nur bekommt man dazu von Wissenschaftlern selten eine klare Antwort. "Ich bin ganz sicher, dass Quantencomputer Fortschritte bringen werden", sagt etwa Jürgen Eschner; er forscht an der Universität des Saarlandes über Quantenkommunikation und Quantencomputer. Aber er sagt auch: "Ich glaube nicht daran, dass noch in unserer Lebenszeit jemand einen Quanten-PC auf dem Schreibtisch stehen hat."

Während auf den Chips herkömmlicher Computer Transistoren dicht gepackt sind, die jeweils für null oder eins stehen, arbeiten Quantencomputer statt mit Bits mit sogenannten Qbits. Das können zum Beispiel Ionen sein, geladene Atome. Strahlt man sie mit einem Laser an, können sie in einen angeregten Zustand übergehen; solche Zustände entsprechen dann ebenfalls den Werten null oder eins. Aber anders als die klassischen Transistor-Schalter müssen die Qbits sich nicht festlegen - sie können auch in einer Überlagerung beider Zustände sein. So wie das berühmte Gedankenexperiment des Physikers Erwin Schrödinger: die Katze, die tot und lebendig zugleich ist. Erst wenn man nachschaut, wie es der Katze geht, beziehungsweise den Zustand eines Ions misst, entscheidet sich die Lage.

Und noch etwas können die Qbits, was herkömmliche Chips nicht schaffen: Mehrere Quantenobjekte können eine Art Partnerschaft eingehen, eine Verschränkung. Jede Manipulation des einen Ions wirkt sich dann auf alle anderen mit ihm verschränkten Ionen aus. So können Rechenoperationen - statt nacheinander - massenhaft parallel ausgeführt werden. Beides zusammen ermöglicht ganz neue Algorithmen. "Nicht für alle Fragestellungen sind Quanten-Algorithmen wirklich besser geeignet als klassische", sagt Eschner. Aber ein paar eindrucksvolle Beispiele gibt es doch. Etwa in der Code-Entschlüsselung, wo es darauf ankommt, große Zahlen in Faktoren zu zerlegen. Mit herkömmlichen Algorithmen wird das bei großen Zahlen schnell so aufwendig, dass es in vernünftiger Zeit nicht mehr geht; allein das macht heutige Verschlüsselungsmethoden vergleichsweise sicher. Quanten-Algorithmen dagegen macht es wenig aus, wenn die zu zerlegende Zahl ein paar Stellen länger ist - prinzipiell könnten sie darum fast alle heute verwendeten Codierungen knacken. Viele Wissenschaftler interessieren sich auch dafür, komplexe Systeme zu modellieren, das Verhalten großer Moleküle zum Beispiel. Auch da wird es mit einem normalen Computer schnell so kompliziert, dass man aufgeben muss, weil so viele Teilchen interagieren. Ein Quantencomputer dagegen hätte keine grundsätzlichen Schwierigkeiten damit.

Noch ist nicht klar, wie man über die magische Grenze von 40 Qbits hinauskommt

Doch es gibt immer noch genug andere Aufgaben, bei denen es derzeit keinerlei Anlass gibt, nach einem Quantencomputer zu rufen - die herkömmlichen Algorithmen taugen dafür mindestens genauso gut. Hinzu kommt: Man müsste erst einmal einen Quantencomputer haben, der den Namen verdient. Zwar rücken kommerzielle Anwendungen näher. Das Unternehmen D-Wave Systems hat schon vor Jahren eine Art Quantencomputer entwickelt und an ein Forschungslabor von Google und Nasa verkauft; dabei handelt es sich aber um eine besondere Spielart des Quantencomputers mit sehr beschränkten Möglichkeiten. Unter Fachleuten ist umstritten, welche Vorteile so ein Modell bringt. Doch die Entwicklung geht weiter. Auch in Heidelberg werden Experten von Google und IBM vortragen: Beide Konzerne haben sich zum Ziel gesetzt, eigene kommerzielle Quantencomputer zu bauen.

Aber noch ist die Technik ungefähr dort, wo es jene herkömmlicher Computer in den Dreißigerjahren war, wenn überhaupt. Maximal mit Systemen von 30 Ionen-Qbits experimentieren Forscher derzeit, und auch das klappt nicht reibungslos. Zum Vergleich: Der erste Digitalrechner Z3 von Konrad Zuse hatte 1941 ein Rechenwerk mit 600 Relais-Schaltungen. Heute bringt etwa Intel bis zu 100 Millionen Transistoren auf einem Quadratmillimeter eines Chips unter. Und noch ist nicht klar, wie man über die magische Grenze von ungefähr 40 Qbits hinauskommen soll, ab der Quantencomputer wirklich fundamental neue Möglichkeiten eröffnen würden. "Skalierung", nennen Forscher das - derzeit eines der größten Probleme. Denn ein Ionen-Qbit kann man nicht einfach auf eine Leiterplatte schrauben. Die Teilchen werden in Fallen im Vakuum festgehalten, die Apparatur für ein paar wenige Qbits füllt schnell ein Labor. In so eine Falle kann man aber nicht sehr viele Ionen hineinstopfen, schon bei wenigen Dutzend geht die Kontrolle über die Teilchen verloren.

Eine Lösung könnte es sein, mit verschiedenen Ionentypen zu arbeiten. In der renommierten Zeitschrift Science Advances haben Forscher Anfang des Jahres auch eine Art Bauplan für einen Riesen-Quantencomputer präsentiert, der mit vielen zusammengeschalteten Ionenfallen arbeitet. Aber noch hat niemand so etwas realisiert. Vielleicht macht auch eine ganz andere Technik als die Ionenfalle das Rennen: Viele Forscher setzen etwa mittlerweile große Hoffnungen in Supraleiter-Bauteile als Qbits. Auch da gibt es jedoch massenhaft ungelöste Probleme.

Vielleicht werden Quantencomputer also auf ewig ein Modell der Zukunft bleiben, hoch spezialisiert und hoffnungslos unpraktisch. Allerdings wurde vor gar nicht so langer Zeit ähnlich über klassische Computer oder über das Internet geredet. "Wir werden eines Tages ein Quanten-Internet haben, mit Quantenverschlüsselung, Quantenkommunikation und Quantencomputern. Alle Aussagen über die eingeschränkten Möglichkeiten zeigen nur unsere begrenzte Fantasie", sagt Anton Zeilinger von der Universität Wien,ein weltweit anerkannter Pionier auf dem Gebiet der Quantenverschränkung. Für Zeilinger sind Quantencomputer eine natürliche Folge der technischen Entwicklung, Schwierigkeiten hin oder her. Man sollte nicht nur über Algorithmen nachdenken, rät er - sondern darüber, was man mit Quantencomputern machen kann, wenn sie einmal jeder in der Hand hat.

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