Präsidentin Burgenvereinigung:Der Rest vom Ritterfest

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Schaukämpfe und Burgentourismus romantisieren das Mittelalter. Wissenslücken werden mit Fantasie gefüllt. Das hat durchaus seine Vorteile, sagt Barbara Schock-Werner, Präsidentin der Deutschen Burgenvereinigung.

Interview von Stefan Fischer

Burgen und Ritter üben eine große Anziehungskraft aus. Sie sind die greifbarsten Relikte des Mittelalters und regen die Fantasie der Menschen an: Es gibt wohl keine Epoche, für die wir Deutsche uns stärker interessieren. Barbara Schock-Werner, die bis 2012 Dombaumeisterin am Kölner Dom war und seit 2013 die Präsidentin der Deutschen Burgenvereinigung ist, kennt einige Gründe für die anhaltende Begeisterung.

Was fasziniert uns am Mittelalter?

Es ist exotisch - aber nicht zu sehr. Wir blicken in eine Welt, die anders ist als unsere und doch eine Menge mit uns zu tun hat. Es ist die Welt unserer Vorfahren. Und sie ist fassbar: In den Kirchen, Klöstern und Burgen kann man sich anschauen, wie unsere Vorfahren gelebt haben.

Gibt es einen Auslöser für das Interesse am Mittelalter?

Die Wiederentdeckung des Mittelalters fängt an zur Zeit der Romantik. Lange hat man etwa die alten Kirchen zwar benutzt, fand sie aber hässlich. Dann aber hat zum Beispiel der junge Goethe, der ganz klassizistisch erzogen war, während seines Studiums in Straßburg festgestellt: Das Münster ist gar nicht hässlich. Am Anfang steht also die Überwindung von Vorurteilen. Zuletzt haben die Entwicklung Europas und die Wiedervereinigung Deutschlands den Blick auf die eigene Vergangenheit geschärft und damit auch das Mittelalter noch stärker in den Mittelpunkt gerückt.

Wird das Mittelalter nicht auch stark romantisiert?

Sicherlich. Dafür sprechen die ganzen Mittelalter-Feste, auf denen die Leute in einer Sprache reden, die sie für mittelalterlich halten, ohne dass sie es ist. Sie verkleiden sich, tragen Schaukämpfe aus und präsentieren Handwerke auf vermeintlich mittelalterliche Art. Oder diese Mittelalter-Essen: All das ist eine Romantisierung und hat mit dem echten Mittelalter meistens nichts zu tun.

Ist das ein Schaden?

Nein. Es ist nicht wichtig, wie authentisch dieses Nachspielen wirklich ist. Entscheidend ist, dass die Menschen sich für das Mittelalter interessieren und sich deshalb vielleicht um den Erhalt der Burg oder Kirche bei sich zu Hause kümmern.

Welche Rolle spielen Bücher und Filme?

Der ungeheure Aufschwung historischer Romane trägt viel bei zur Begeisterung. Sowohl auf dem hohen Niveau von "Der Name der Rose" als auch auf dem populären Niveau der "Wanderhure". Daraus entwächst das Interesse, mittelalterliche Orte einmal selbst zu sehen. Wer "Die Wanderhure" liest, hört vielleicht auch zum ersten Mal vom Konstanzer Konzil.

Mehr als 10 000 Zuschauer finden in der Arena des Kaltenberger Ritterturniers Platz. Sie wollen sehen, wie Gut und Böse gegeneinander kämpfen, bis die Lanzen splittern. (Foto: Johannes Simon)

Wie wichtig ist es, das mittelalterliche Potenzial auch touristisch zu nutzen?

Der Tourismus hilft bei der Erhaltung vieler Objekte, etwa durch die Eintrittsgelder. Man muss nur einen scharfen Strich ziehen zwischen einer intensiven Nutzung und der totalen Vermarktung.

Ist eine Stadt wie Rothenburg ob der Tauber nicht längst zu einem belebten Museum seiner selbst geworden?

Es gibt natürlich Grenzfälle. Rothenburg ist sicherlich so ein Beispiel. Wobei das auch temporär ist: Wenn sie im Februar oder im späten Oktober kommen, besuchen sie eine fast normale deutsche Kleinstadt. Im August würde ich Rothenburg eher meiden. Die Einwohner jedenfalls leben immer noch da, und die meisten leben ganz normal. Viele von ihnen profitieren vom Tourismus.

Ist das Mittelalter-Interesse ein speziell deutsches Phänomen?

Engländer sind fast noch mehr fasziniert vom Mittelalter als die Deutschen. Auch in Böhmen und Polen ist das wichtig. Und unter den Besuchern der Burgen am Rhein sind viele Flusskreuzfahrt-Passagiere aus den USA und vermehrt aus China. Ostasiaten orientieren sich stark an der Welterbe-Liste.

Mit dem architektonischen Erbe des Mittelalters kann man im Ausland also für Deutschland werben?

Ja, ganz stark. Der Kölner Dom, die Burgen im Rheintal, Rothenburg - Orte, die stehen geblieben zu sein scheinen, haben einen hohen Werbefaktor. Auch Bamberg und Celle. Wobei es nur wenige deutsche Städte gibt, die ihr mittelalterliches Erscheinungsbild einigermaßen bewahren konnten. Das macht sie umso wertvoller.

Vor allem der Zweite Weltkrieg hat das Mittelalter in Deutschland zerstört. Ist deshalb das Interesse auch so groß, weil die Spuren des Mittelalters aus unserem Alltag weitgehend verschwunden sind?

In England gibt es Stimmen, die sagen: Habt ihr ein Glück, dass bei euch so viel zerstört wurde. Wir haben das alles noch, und es ist so schwierig, darin zu wohnen und damit zu leben. Trotzdem sind die Engländer mindestens so fasziniert von ihren mittelalterlichen Stätten wie wir. Ich glaube, die Zerstörung hat sicherlich dazu beigetragen, den Rest umso besser zu schützen - und ihn auch zu besuchen.

Wie ist es um das Wissen über das Mittelalter bestellt?

Barbara Schock-Werner war lange Dombaumeisterin in Köln. Nun steht sie der Deutschen Burgenvereinigung vor. Sie findet das Interesse am Mittelalter gut, solange es nicht in völlige Kommerzialisierung ausartet. (Foto: Bettina Flittner)

Für viele Leute ist es tatsächlich die Ritterburg mit den Rittern und die Vorstellung, dass die sich nie gewaschen und stattdessen mit Schwertern auf den Kopf gehauen haben. Aber es gibt bei etlichen Menschen auch ein sehr differenziertes Wissen. Wobei man immer wieder mit den kuriosesten Thesen zum Mittelalter konfrontiert wird von Leuten, die sich intensiver damit befassen.

Ist das Mittelalter auch deshalb eine so spannende Epoche, weil man so viel hineininterpretieren kann?

Ja, das geht von geheimnisumwitterten Freimaurer-Logen und dem Grals-Mythos bis hin zu "Harry Potter" oder "Der Herr der Ringe".

Haben Sie eine Erklärung dafür, warum die Welten in der Fantasy-Literatur und in Fantasy-Filmen ganz oft dem Mittelalter entlehnt sind?

Vielleicht, weil sich die Fantasie da noch freier bewegen kann als etwa in den Mythen der Antike. Die Welt von König Artus kann man weit ausbauen, weil man im Detail weniger weiß.

Kaum eine Zeit ist so schlecht dokumentiert wie das frühe Mittelalter.

Es bietet viele Leerstellen, die man füllen kann mit ungeheuerlichen Geschichten. Das hat tatsächlich viel mit den Umwälzungen durch die Völkerwanderung zu tun. Die Sage um Artus ist ein gutes Beispiel. Bis heute sind sich nicht einmal die Engländer einig, ob es ihn je gegeben hat oder ob er vielleicht sogar Bretone war. Aber in der Sage spielt er mit seinen Rittern eine große Rolle. So ähnlich ist es bei uns mit den Nibelungen.

Bei aller Fantastik hat man die steinernen Zeugnisse, um diese Geschichten in der Realität zu verankern.

Genau. Und an diesen Kirchen und Burgen begeistert uns noch etwas: Wir staunen darüber, wie Menschen diese Bauwerke errichtet haben ohne Motoren, ohne Elektrizität und Elektronik. Welche großen Leistungen schon damals vollbracht werden konnten, fasziniert uns.

© SZ vom 12.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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