Peter Sloterdijk auf der ITB Berlin:Tractatus Philosophico Touristico

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Machen Touristische Megaprojekte philosophisch gesehen Sinn? Peter Sloterdijk versuchte auf der Internationalen Tourismusmesse in Berlin eine Antwort.

Daniel Steinmaier

Würden Sie ihre Ferien in einem rein touristischen Megaprojekt mit mediterranem Flair in der Wüste von Kasachstan verbringen? Nein? Wahrscheinlich leiden Sie an einem "Plastik-Affekt", einem "Beton-Affekt", wie ihn der Philosoph Peter Sloterdijk auf der Internationalen Tourismusmesse in Berlin diagnostizierte, suchen noch immer nach dem "Authentischen" und haben das Wesen des Tourismus nicht verstanden.

Philosoph Peter Sloterdijk machte sich Gedanken über den modernen Tourismus. (Foto: Foto: AP)

Sloterdijk dozierte am Rednerpult vor Besuchern der Tourismusmesse, der wirkliche Tourist sei derjenige, der ohne bestimmten Zweck verreise und sich so in eine "zweite, spielerische Realität" begebe, eine "Entlastungsrealität", die uns vom Ernst des Alltags befreit.

Dass man sich als Tourist in "künstliche Räume der Simulation" begebe, sei so gesehen konsequent, schloss daraus der ZDF-Moderator Wolfgang Herles, der mit der schwierigen Aufgabe betraut war, Sloterdijks kulturtheoretische Überlegungen auf konkrete touristische Megaprojekte zu beziehen.

Aus dem Nichts ein Funparadies

Etwa das 2,3 Milliarden Dollar schwere "Kenderli-Projekt" in Kasachstan. Auf der Großleinwand hinter Peter Sloterdijk wird präsentiert, wie mitten im Nichts ein "Familienparadies", ein "Funparadies", ein "Marina-Paradies" und ein "Golfparadies" für 21.000 Touristen aus dem Boden gestampft werden soll. Mit eigenem Flughafen. Peter Sloterdijk kratzt sich mit dem Finger an der Braue.

In seinem "tractatus philosophico touristico", wie er seine Rede betitelt, hatte der Kulturwissenschaftler und Essayist eben noch doziert, wie die historisch einmalige "Demokratisierung des Luxus", die der Massentourismus bedeute, mit dem "Endspiel der fossilen Energie" zu Ende gehen könnte, wenn die Fliegerei aufgrund steigender Ölpreise nur noch dem "Metavolk der Millionäre" möglich sei.

Mit der "Auflösung der monolokalen Lebensform" der heutigen Gesellschaft, beziehungsweise mit der "kinetischen Demokratie" sei es dann vorbei. Die Ferienfliegerei als Emanzipation des Menschen vom gottgemachten Klima, der "Ausbruch aus der Schlechtwettergemeinschaft" sei dann nur noch wenigen möglich.

Exklusives Erlebnis für Millionäre

Doch das müssten die Megaprojekte nicht fürchten. Hauptsächlich seien sie für das stetig wachsende "Metavolk der Millionäre" vorgesehen, dass angesichts der "Demokratisierung des Luxus" neue Abgrenzungsmöglichkeiten suche, um sich den "Pöbel" vom Hals zu schaffen. Exklusive Golfplätze zum Beispiel.

Mit ihrem Hang zur "Gated Community", zur "Apartheid-Gesellschaft" folgten die "Megadestinationen" auch dem "Paradigmenwechsel" vom Paradigma der Freiheit zum "Sicherheitsparadigma". Freiheit, sagt Sloterdijk, interessiere heute nur noch Steuerflüchtlinge. Und erntet das Lachen des Publikums.

Und was die Natur angeht, die manche in Megaprojekten wie dem kasachischen "Kenderli-Projekt" vermissen: Die Unterscheidung von Authentizität und Simulation, von Natur und Kultur sei angesichts der "naturgenetischen Technik" hinfällig geworden. Zudem "amüsieren wir uns mehr mit den Parodien als mit den Originalen", sagt Sloterdijk, und setzt darauf, dass sich der "Habitus der Ironie" zukünftig auch im Tourismus durchsetze.

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