Ozeanrudern:Soweit die Riemen tragen

Lesezeit: 3 min

16 Teams rudern 5370 Kilometer über den offenen Ozean. Die sieben Meter langen Boote kämpfen gegen bis zu 20 Meter hohe Wellen.

Von Stephan Bernhard

Die Küstenwache hatte sie gewarnt, Selbstmord sei das. Chay Blyth und John Ridgeway war das egal. Die Briten waren körperlich topfit, strotzten vor Selbstvertrauen und suchten das Abenteuer.

Pull-Männer: Die Teams der dritten Atlantik-Überquerung bereiten sich auf mehr als 1,3 Millionen Ruderschläge vor - eine extreme Herausforderung für Körper und Psyche. Die sieben Meter langen Boote sind hochseetüchtig und mit Entsalzungsanlagen ausgerüstet. (Foto: Foto: Bernhard)

Am Abend des 4. Juni 1966 schoben sie ihr Ruderboot - die sieben Meter lange English Rose III - ins Wasser und griffen zu den Riemen. Die beiden wollten den Atlantik überqueren, von den USA nach Großbritannien rudern. Es wurde härter, als sie erwartet hatten. Wind bis Sturmstärke und die Strömung arbeiteten gegen sie.

Heute, 37 Jahre nachdem Chay Blyth auf dem Atlantik um sein Leben kämpfte, dreht sich sein Leben immer noch um Ruderboote. Er veranstaltet Ruderbootrennen, genauer Transatlantik-Rennen.

16 Zweierteams treffen gerade im Hafen von San Sebastian auf der Kanareninsel La Gomera die letzten Startvorbereitungen. Die Teilnehmer aus Neuseeland, Südafrika, Frankreich, Großbritannien und der Karibik sind ein bunter Haufen.

Doktoren sind darunter, Bauern, eine Sängerin, Piloten, ein Fitnesstrainer und zwei Berufssoldaten der Royal Air Force, die den Atlantik mit der Kraft ihrer Arme bezwingen wollen.

Auch Steve Westlake, 32, und Matt Goodman, 33, zwei Polizisten aus Neuseeland sind ein Team. Einen Tag vor dem Start versuchen sie noch ihr Gepäck zu reduzieren, lassen einzelne Kleidungsstücke zurück, um Gewicht zu sparen. "Im Rennen werde ich mehr als 1,3 Millionen Ruderschläge machen, da wird jedes zusätzliche Kilo zur Belastung", meint Matt Goodman.

Morgen, am 19. Oktober, fällt der Startschuss zum Woodvale Atlantic Rowing Race, einem Rennen über 5370 Kilometer offenen Ozean - von den Kanarischen Inseln nach Barbados in der Karibik.

Es ist das dritte Rennen dieser Art, das Chay Blyth veranstaltet und das zweite, an dem Steve Westlake und Matt Goodman teilnehmen - das letzte Rennen 2001 haben sie gewonnen. "Wir sind gut vorbereitet und werden den Titel wieder nach Neuseeland holen."

Die Route solle es den Teams so leicht wie möglich machen, sagt Chay Blyth: "Die Meeresströmung und der Passatwind treiben die Boote beständig Richtung Karibik. Außerdem ist die Hurrikansaison vorbei."

Die Natur kann aber auch zum Gegner werden, wie Goodmans Erfahrung zeigt: "2001, kurz vor dem Ziel, hatten wir so starken Gegenwind, dass wir praktisch auf der Stelle ruderten - vier Tage lang."

Die Dauer des Rennens kann nur geschätzt werden - zwischen 40 und 100 Tagen. Der Rekord liegt bei 41 Tagen und besteht seit 1997. Während der gesamten Zeit müssen die Ruderteams ohne jegliche Unterstützung auskommen.

Wer Hilfe anfordert oder Proviant benötigt, wird disqualifiziert. Die ersten Tage sind die schwierigsten, meint Chay Blyth: "Um die Kanaren ist die See oft rau. Manche werden seekrank, andere können nicht schlafen. Außerdem müssen die Teams lernen, auf engstem Raum miteinander auszukommen."

Westlake und Goodman haben einen Vorteil, sie wissen, dass sie es auf dem sieben Meter langen und zwei Meter breiten Boot mit Kabine und Meerwasserentsalzungsanlage zusammen aushalten können.

Teams, die vorher nur in Küstennähe oder auf Seen trainiert haben, werden von der neuen Situation oft überrascht - 2001 litt ein Teilnehmer unter solcher Platzangst, dass er aufgeben musste.

Gefährlich wird es für die Teilnehmer, wenn Sturm aufzieht - bis zu 20 Meter Höhe erreichen die Wellen - oder wenn sie einem Frachtschiffe zu nahe kommen, das die kleinen Boote übersehen könnte.

Für den Notfall begleiten zwei Schiffe die Ruderer.

Schlimmer als die Angst sind aber die alltäglichen Probleme erzählt Goodman: "Wenn ich mich an alle Schmerzen erinnern könnte, würde ich bestimmt nicht noch mal losrudern. Die Muskeln im Rücken und den Armen schmerzen, die Hände sind voller Blasen und die Haut ist so wund gescheuert, dass man kaum sitzen kann."

Am Ende der Mühen wartet kein Preisgeld auf den Sieger, sondern nur das Wissen, es geschafft zu haben. "Ozeanrudern ist ein Test für die eigene körperliche und mentale Stärke", sagt Chay Blyth.

In 92 Tagen erreichten er und John Ridgeway seinerzeit Irland. Sie waren aber nicht die Ersten, die dieses Abenteuer überstanden. Im Jahre 1896 ruderten zwei norwegische Fischer von New York nach Le Havre in Frankreich.

Chay Blyth: "Das waren wirklich harte Jungs. Damals gab es weder Kunststoffboote, noch haltbare Lebensmittel." Die beiden Fischer, George Harbo und Gabriel Samuelsen, erreichten ihr Ziel in 55 Tagen.

© SZ vom 20.10.2003 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: