Österreich: Wien (SZ):Die Dimension der neuen Mitte

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Kunst kommt ganz groß: Nach drei Jahren Bauzeit wird in Wien am letzten Juniwochenende ein Teil des Museums Quartiers eröffnet.

Eva- Elisabeth Fischer

(SZ vom 19.06.2001) - Der alte Fischer hat ziemlich viel Teint aufgetragen. Eine so stark geschminkte Fassade blendet. Auch einen Architekten. Der kann sich den leisen Spott nicht verkneifen: "Darum wird uns die ganze Welt beneiden," näselt der Planer etlicher anderer prominenter Wiener Bauten in blasiertem Graf-Bobby-Wienerisch und persifliert damit, was eben nicht sehr nett ist, die bewundernden Prophezeiungen für Wiens größten Kulturbau nach dem Krieg.

Der Himmel über Wien. (Foto: Foto: MuseumsQuartier)

Hinter dem neuen pudrigen Abricot des historischen, 480 Meter langen Fischer-von-Erlach-Baus der ehemaligen kaiserlichen Hofstallungen aus dem frühen 18. Jahrhundert, auf einem insgesamt 60.000 Quadratmeter großen Gelände, das mitsamt seinen prunkvollen Gebäuden und wechselnden Provisorien nach Ende der kaiserlich-königlichen Monarchie und des Ersten Weltkriegs als Messeplatz diente, wurde eines der größten Kulturzentren der Welt errichtet: Das MuseumsQuartier Wien.

Vernetzte Architektur

MuseumsQuartier - ein guter Name, ein treffender Name. Obgleich das Ganze auch hätte "Kunstnetz" heißen können. Weil heutzutage ja alles vernetzt wird, wegen der weltweiten Globalisierung und so. Aber Quartier trifft die Sache trotzdem besser, weil diese riesigen Häuser auf einem riesigen, aber irgendwie dann doch nicht so riesigen Areal Obdach geben für 20 verschiedene kulturelle Einrichtungen.

Rein baulich gesehen sind die Häuser bereits untereinander vernetzt, steinern und ehern miteinander und darüber hinaus mit den angrenzenden Stadtvierteln verbunden. Durch Über- und Durchgänge, via Treppen aneinander gehängt oder sich öffnend, weshalb das verantwortliche Architektenbüro "ARGE Architekten Büro Ortner & Ortner, Manfred Wehdorn" auch flott "Architekten der Vernetzung" genannt wird. (Wobei die Ortner-Brüder für die Neubauten, Wehdorn für die Altbauten zuständig ist.)

Der augenfällige Anstrich des Fischer-Baus wurde mühsam nach historischen Mustern rekonstruiert.

Schon beim Anflug leiser Kritik wird man sogleich belehrt, dass das sonnig-satte Gelb von Schloss Schönbrunn, das sogenannte Habsburger Gelb, eine Erfindung des späten 19. Jahrhunderts sei. Das Gelb würde allgemein also völlig überbewertet. Und was die Puderfarbe anlangt, so wird's der Schmutz schon bald richten.

Denn obgleich ein breiter Fußweg, ein noch breiteres Grünstück und Bäume den Bau von der Fahrbahn trennen, liegt er dennoch am stark befahrenen Burgring.

Eine feine Adresse. Berlin kann mit seiner Museumsinsel protzen. Aber das MuseumsQuartier hat zumindest zum Zentrum hin, am Burgring einmal über die Straße, die denkbar ehrwürdigsten Nachbarn, das Naturhistorische und das Kunsthistorische Museum, das unter seiner prachtvollen Kuppel und allerfeinstem Stuck Malerei bis 1800 beherbergt, die Brueghels, die Rubens, die Tizians und derlei Herrlichkeiten mehr.

Kunst und Kneipen am Spittelberg

Dahinter gleich der Heldenplatz, Hofburg und Burggarten. Die anderen drei Seiten sind weniger nobel, doch bei anderen Einwohner- und Besucherschichten gleichermaßen beliebt. Vor dem rosa Riegel stehend, steigt links die Mariahilfer Straße an, nicht länger das billige Pendant zur Kärntner Straße, auch wenn es hier keine Fußgängerzone gibt; rechts die Bellariastraße und das Volkstheater; und dahinter, über Stiegen von der Kunsthalle aus erreichbar, Wiens Williamsburg, das als Künstler-und Kneipenviertel das Bermuda-Dreieck abgelöst hat: der Spittelberg.

Unter all den Galerien und ausgefallenen Geschäften gibt es - Gipfel des Exquisiten! - tatsächlich einen Laden, wo man mit bestem Spezialton-Geschirr die chinesische Teezeremonie zelebriert. Aber im 7. Bezirk starren einen auch leere Fenster an, ja ganze leer stehende Häuser. Dies leider ein Zeichen, dass Quadratmeterpreise und Mieten unerschwinglich werden, und bald nur noch die Geldigen hinter den blitzblank renovierten Biedermeier-Fassaden einziehen.

Zur Breiten Gasse hin, die parallel zum Ring verläuft, soll unter einem neuen Pächter bald wieder das Glacis-Beisl eröffnen, ein Ort, den viele schon geliebt haben, bevor der 7. Bezirk chic und das Museums Quartier gebaut waren. Das Glacis-Beisl bezog seinen Charme daraus, dass es die Künste in Gestalt seiner Gäste mit dem Volkstümlichen zu verbinden wusste - der guten Wiener Hausmannskost, dem schlichten Interieur, dem Schanigarten (der ja für sich genommen bereits den kleinen Leuten, nämlich allen männlichen Faktoten namens Jean gewidmet ist).

Ähnliches soll augenscheinlich das MuseumsQuartier leisten: Brücke sein zwischen imperialer Pracht und der Vorstadt, wo allerdings längst keine süßen Mädeln mehr zu Haus sind. Soll die sogenannte Hochkultur volksnah präsentieren und mit dem Volksvergnügen in Einklang bringen.

Deshalb also noch einmal zurück zum Haupteingang, zur Burgring-Seite und dem Fischer-Trakt. Denn nun gilt es, das Quartier an Ort und Stelle und im Kopf zu sortieren.

Den Fischer-Bau wird das "Quartier 21" belegen. Eine Institution, die, transmedial, unter anderen auch all jene zeitgenössischen Sparten aufgreift, analysiert, fördert und miteinander verknüpft, die in unserem Jahrhundert - daher die Zahl 21 - Kunst sein können, aber nicht notgedrungen Kunst sind: zum Beispiel neue Medien und Mode, "crossover" total. Je weiter man ins Gelände vordringt, desto weiter fällt man auf die klassischen Künste zurück.

Das Auffälligste, was man von der Straße aus nicht sieht, weil sich der Fischer-Trakt mächtig davor breit macht - der Bau der kaiserlichen Winterreitschule - wird symmetrisch flankiert von den zwei nagelneuen Museums-Bauten. Zwei mächtige Kuben erheben sich zu beiden Seiten, der linke aus hellem Muschelkalk, der rechte aus anthrazitgrauem Basalt.

Der linke, das Leopold Museum, benannt nach dem gleichnamigen Wiener Sammler, beherbergt die weltweit größte Egon-Schiele-Sammlung. Und außerdem eine ansehnliche Anzahl von Klimts und Kokoschkas, insgesamt eine repräsentative Schau von Werken des Wiener Secessionismus, der Moderne, des österreichischen Expressionismus sowie von Objekten der Wiener Werkstätten, die wohl nirgendwo sonst ihresgleichen hat.

Künstlerische Avantgarde

Das dunkelgraue Pendant gehört ganz der internationalen Kunst des 20. Jahrhunderts, präsentiert auf fünf Ebenen Werke der künstlerischen Avantgarde vor 1945, Kunst nach 1960, Pop-Art, Fluxus, Happening- und Aktionskunst bis hin zur Installationskunst der 1980er und 90er Jahre, also all das, was bis dato an zwei Orten, dem Museum des 20. Jahrhunderts und im Palais Liechtenstein zu sehen war.

Nunmehr vereint, hört die Sammlung analog zum New Yorker MoMA (Museum of Modern Art) auf den putzigen Namen MuMoK, eine Abkürzung, die für Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien steht.

Besucher, denen die Bilder dieser Welt egal sind und alle Theorie grau ist, sollten wenigstens mit dem Lift in die Dachgeschosse der neuen Museen fahren. Von dort aus hat man jeweils eine andere, gleichermaßen atemberaubende Aussicht aufs kaiserliche Wien, ernsthafte Konkurrenz für das Panorama, das sich in den lichten Höhen des Burgtheaters eröffnet.

In der ehemaligen Winterreithalle, die nach 1850 gebaut wurde, sind die Wiener Festwochen untergekommen, die hier schon einmal jahrelang, 1985 bis 1997, die damaligen Messehallen bespielt haben. Zwei Theater mit jeweils 1000 beziehungsweise 350 Plätzen, die außerdem dem Tanzquartier und dem Wiener Filmfestival Viennale zur Verfügung stehen, wurden hier buchstäblich übereinander gestapelt. In Erinnerung an die alten Messezeiten hat man sie prosaisch Halle E + G genannt. Der alte Stuck wurde aufs Beste restauriert, die Kaiserloge erhalten, an die einstigen Dimensionen des Raumes erinnert nichts mehr.

Wie ein Wimmerl, so heißen südlich des Mains die meist hässlichen, aber praktischen Gürteltaschen von Wanderern, Skifahrern und Touristen, hängt der Klinkerbau der Kunsthalle an E + G, deren wechselnde Ausstellungen man in den Pausen bequem besuchen kann. (Was schon deshalb als Alternative anzuraten ist, weil es wegen der langsamen Bedienung an der einzigen Bar im Theater-Foyer eh unwahrscheinlich ist, etwas zu trinken zu bekommen.)

Aber auch die Kunsthalle komplettiert noch nicht die Vielfalt des MuseumsQuartiers. Es gibt außerdem das Kindermuseum Zoom und ein Theaterhaus für Kinder; das Tabakmuseum gehört dazu ebenso wie das Architekturzentrum Wien oder die Redaktion der Kunstzeitschrift Springer. Nicht zu vergessen die acht bis zehn Künstler-Ateliers, die, zum "Quartier21" gehörend, Richtung Spittelberg eingerichtet werden, und ebenso viele Cafés.

Jährlich 1,1 Millionen Besucher werden im MuseumsQuartier erwartet, wobei das Leopold Museum und die Hallen E+G mit 250.000 beziehungsweise 200.000 Besuchern als Spitzenreiter veranschlagt sind.

Leben herrscht hier jetzt schon. Bauarbeiter werkeln bis zur letzen Minute; neugierige Passanten und Festwochengäste balancierten noch vor zwei Wochen über rohe Holzplanken, um einen Blick in die Innenräume der Museen zu erhaschen, in eines der bereits eröffneten Cafés oder ins Theater zu gelangen. Lebhaft wird es hier immer zugehen, weil das Areal 24 Stunden täglich, also rund um die Uhr zugänglich ist (wobei die Öffnungszeiten der einzelnen Institutionen noch immer nicht geklärt sind). Und da die Betreiber des MuseumsQuartiers davon überzeugt sind, dass Kunst allein nicht satt mache, muss dringend der Event aufgesetzt werden. Deshalb - ein Picknick für 3000 zur Eröffnung!

Das volle Wien wird noch voller werden. Es sollte also niemand mit dem Auto kommen wollen. Es führen doch viele Mittel und Wege zum MuseumsQuartier. Im übertragenen Sinn gehen die Besucher wohl auf zweierlei Art heran: Die einen, die Pragmatiker, betrachten diese steingewordene Kulturkumulation rein funktional: auf 60.000 Quadratmetern Plansoll erfüllt, jedes Eckchen genutzt. Aber einige, die den frisch gepuderten Fischer-Trakt durchschreiten, und zu denen gehört sicherlich der spöttische Architekt, werden der alten Weite nachtrauern, den herrlichen Dimensionen eines Platzes und einer wahrhaft imperialen Winterreithalle. So klotzt eben jede Epoche ihre Spuren hin.

INFORMATIONEN

Auskünfte gibt es unter Telefon 00431/ 5235881-286 oder Fax 00431/5235886; nur in Österreich funktioniert die Info-Hotline 0820/600600. Unter www.mqw.at können Informationen zum Projekt, zur Architektur, zu den Institutionen und Zur Geschichte heruntergeladen werden.

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