Neulich in Island:Zwischen zwei Stürmen

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Winter in Island! Wer hätte das gedacht, dass sämtlicher in Europa erwarteter Schnee auf der Insel im Nordatlantik niedergeht? Und zwar so, dass selbst die wettererprobten Isländer nicht mehr vor die Tür gehen? Und Touristen schon gleich gar nicht.

Von Karoline Meta Beisel

Eine Winterreise nach Island, und dann hat es Plusgrade? Das klingt ja gar nicht gut. Wenn man schon mal im Winter so hoch in den Norden kommt, wünscht man sich schließlich einsame Fahrten durch weiße Vulkanlandschaften. Und über den Himmel rasende Nordlichter in der Nacht, mindestens. Aber die Anzeige auf dem Handy ist bis kurz vor Aufbruch unerbittlich: vier Grad plus in Reykjavík, heißt es da.

Erst am Tag vor dem Abflug kommt der Wetterumschwung: Schnee in Island, der erste der Saison. Die Reise ins Winterwunderland scheint gerettet zu sein. Am Flughafen ist der Mietwagen total zugeschneit. Das sieht noch aus wie ein Willkommensgruß. Die Freude lässt schon beim Freikratzen des zweiten Fensters nach und verfliegt vollends, als die mühsam freigelegten Türen kältestarr und deshalb nicht zu öffnen sind. Egal, denkt man da noch: So ist eben der Winter in Island!

Das Blöde nur: So ist der Winter in Island eben doch nur ganz selten. "Es hat in den vergangenen Tagen so viel geschneit wie seit 60 Jahren nicht", erklärt die Vertreterin des Tourismusbüros am darauffolgenden Morgen. "Wir haben große Teile Ihrer Reise abgesagt. Sie bleiben in Reykjavík, die Straßen sind nicht sicher." Die Einheimischen sprechen von einer Snowpocalypse. So viel Schnee ist gefallen, dass der karge Nordwesten der Insel, das eigentliche Ziel der Reise, abgeschnitten ist vom Süden.

Nicht, dass Reykjavík nicht auch seinen Reiz hätte. Aber wenn man eine Landpartie im Sinn hatte, dann ist es doch schade, eingeschneit in der Hauptstadt festzusitzen. Umso größer ist die Freude, als nach drei Nächten die Straße wieder frei ist und es doch noch losgehen kann in den Norden. Der Weg dorthin ist genau wie erhofft: eine einsame Fahrt durch weiß angemalte Lavafelder. In der Nacht erscheint sogar ein Nordlicht am Himmel. Ganz sachte nur leuchtet es grün, eigentlich glimmt es eher. Es bewegt sich auch fast nicht. Trotzdem: Der Moment entschädigt für die verspätete Abreise. Außerdem bleibt ja noch ein ganzer Tag! Dann piepst das Handy. Eine Nachricht von Allison. Die Gegenwart der amerikanischen Touristin und Weihnachtsbier hatten den ersten enttäuschten Abend in Reykjavík erträglich gemacht.

Jetzt warnt sie: "Das Wetter soll wirklich, wirklich übel werden. Winde in Hurrikanstärke. Ich schlage vor, Du drehst um." Bedrohlich klingen auch die Zettel, die an der Tankstelle hängen: "Lebensgefährliche Bedingungen", "Reisenden wird DRINGEND geraten, in ihren Unterkünften zu bleiben", "Stromausfälle möglich". So schrumpft der zweite Tag auf einen Halt im Museum zusammen, zum Mittagessen reicht die Zeit. Die Reise endet am frühen Nachmittag im Hotel in Reykjavík. Selbst die Raucher trauen sich nicht mehr raus. Die Böen sollen 200 Stundenkilometer erreicht haben.

Damit hatte man im 21. Jahrhundert auch nicht mehr gerechnet: Winter in Island, und am Ende gewinnt tatsächlich das Wetter.

© SZ vom 17.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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