Mittelmeerküche:Im Reich des Olivenöls

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"Entlang der Küste" ist zugleich Kochbuch und Kulturgeschichte. Es verleitet zu kulinarischen Landgängen auf der klassischen Route durchs westliche Mittelmeer - und dazu, die mediterranen Köstlichkeiten nachzukochen.

Von Stefan Fischer

Genua - Marseille - Barcelona: Die Stationen einer klassischen Kreuzfahrt durch das westliche Mittelmeer. Drei Hafenstädte in drei Ländern, die ihren jeweils speziellen Charakter haben. Und dennoch eine große Gemeinsamkeit: ihre Küche. Oder jedenfalls die Zutaten dazu.

"Entlang der Küste", wie sie ihr kulinarisches Reisebuch genannt haben, kochen und schlemmen sich Lucio Galletto und David Dale von Ligurien über die Provence bis nach Katalonien. Und zeigen, dass die Grenzen von Ländern und die Grenzen von Kulturen selten deckungsgleich sind. Der Italiener Galletto, der in Australien lebt als Gastronom und Autor, und der Australier Dale, ein Journalist, halten es deshalb lieber mit dem amerikanischen Schriftsteller Waverley Root, der für sich mit der europäischen Kleinstaaterei aufgeräumt hat und den Kontinent in nur drei Regionen einteilt: in ein Reich der Butter, ein Reich des Specks und ein Reich des Olivenöls - nach der jeweiligen Hauptgrundzutat also beim Kochen.

Zu Speck-Land gehören Skandinavien, weite Teile Deutschlands, der Osten Europas bis hinunter auf den Balkan. Mit Butter wird in weiten Teilen Frankreichs gekocht, in Belgien und den Niederlanden, in der Schweiz.

Das Reich des Olivenöls schmiegt sich um das Mittelmeer. Griechenland lassen die beiden Autoren außen vor - Galletto stammt aus dem ligurischen Fischerdorf Bocca di Magra, nahe der Grenze zur Toskana. Die Küche seiner Heimat und der damit verwandten Regionen des westlichen Mittelmeeres sind ihm offenbar näher als der adriatische und ägäische Teil. Und vielleicht spekulieren er und Dale auch auf eine Fortsetzung von "Entlang der Küste", auf einen zweiten Band über die Küche Istriens und Dalmatiens sowie Griechenlands.

Galletto und Dale vergessen jedoch nicht, die Bedeutung Griechenlands für die Entwicklung der Küche in Ligurien, der Provence und Katalonien herauszustreichen. Zweieinhalb altgriechische Wörter lehren sie ihre Leser in ihrer Einführung: kakavi und kakavia, dazu emporion. Ein kakavi ist ein dreibeiniger Kochtopf, den man über ein Feuer stellt. Daraus hat sich das Wort kakavia abgeleitet für eine Fischsuppe - aus dem altgriechischen Gericht sind die italienische Zuppa di pesce, die französische Bouillabaisse und die spanische Sarsuela hervorgegangen. Emporion schließlich haben die Griechen ihre Handelszentren genannt, die sie entlang der Küste gegründet haben, die nun auch Dale und Galletto bereisen. Die Griechen haben den westeuropäischen Anrainern des Mittelmeers Töpfe gebracht, dazu das Olivenöl und die Fischsuppe - und damit, so die beiden Autoren, "die Zivilisation".

"Entlang der Küste" ist im Kern ein Kochbuch, das mitunter zum Reiseführer wird, der sich auf die Empfehlung von Restaurants spezialisiert. Es ist aber vor allem auch eine Kulturgeschichte. Wo Gemeinsamkeiten vorhanden sind und wo Brüche verlaufen, lässt sich sehr gut am Beispiel jener Kräuterpaste ablesen, die in Italien Pesto heißt, in Frankreich Pistou sowie in Katalonien Pisto. Es gibt wie bei jedem kulinarischen Standard auch da etliche Variationen in der Zubereitung. Im Grunde aber handelt es sich überall um dasselbe. Verwendet wird diese würzige Beigabe jedoch unterschiedlich: In Italien werde sie vornehmlich unter Pasta gerührt, in Spanien in Eintöpfe und Paellas, in Frankreich wiederum werde sie als Dip serviert, so die Autoren.

Nun ist, wo viele Touristen sind, zwangsläufig auch viel Nepp. Was vielerorts in den Restaurants etwa als Salade niçoise oder als Bouillabaisse auf die Teller kommt, sind kulinarische Schindludereien. Dale und Galletto zitieren den langjährigen, selbst wegen Betrügereien verurteilten Bürgermeister von Nizza, Jacques Médecin: "Mit Entsetzen habe ich überall auf der Welt beobachtet, wie Gästen die Reste der Mahlzeiten anderer Leute als Salade niçoise serviert wurden." Und wahrscheinlich hat er dafür gar nicht weit herumkommen müssen in der Welt. Galletto und Dale beschreiben, wann und wo die traditionelle Küche ernst genommen wird - ohne dabei all zu puristisch zu argumentieren. In Marseille gibt es Gastronomen, die sich auf eine Charte de la Bouillabaisse geeinigt haben - ein Regelwerk, das die Zutaten und die Zubereitung des Gerichts festschreibt. Auch für einen Salade niçoise gibt es, bei manchem Variantenreichtum, Grenzen des Erlaubten. Den Gestrengen kommt nichts Gekochtes in diesen Salat, also auch kein Ei. Aber selbst in einer simplen Version bestehe ein Salade niçoise aus zwölf Zutaten, so Galletto und Dale.

Der Band wäre weniger attraktiv, gäbe es nicht die Bilder von Bree Hutchins. Sie hat viele der Speisen fotografiert, aber auch die kleineren und größeren Küstenstädte porträtiert. Hat das Licht eingefangen, das die gelben und roten Fassaden als optischen Ausdruck von Wärme reflektieren, die Abendstimmungen, das Glitzern des Meeres, die Boote in den Häfen, die Marktstände mit den frischen Zutaten für die schmackhafte wie bekömmliche Küche des westlichen Mittelmeeres.

Bereist man diese Küste tatsächlich mit einem Kreuzfahrtschiff, kann man dieses Buch gar nicht anders lesen denn als ein Plädoyer dafür, bei den Landgängen nicht zu den Kathedralen und übrigen architektonischen Sehenswürdigkeiten zu streben, und auch nicht in die Läden und Geschäfte. Sondern auf die Lebensmittelmärkte und in ausgewählte Restaurants. Um das Reich des Olivenöls mit dem Bauch und dem Geschmackssinn zu erkunden. Wer das tut, wird zufriedener und weniger gestresst an Bord zurückkehren.

Lucio Galletto, David Dale : Entlang der Küste. Die Küche des Mittelmeeres - Italien, Frankreich, Spanien. Aus dem Englischen von Barbara Holle und Marianne Harms-Nicolai. Sieveking Verlag, München 2018. 288 Seiten, 36 Euro.

© SZ vom 22.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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