Lifestyle:Blümchen am Grunde der Tasse

Lesezeit: 3 min

Wer im Kaffee nur den schnellen Kick sucht, hat keine Ahnung vom wahren Genuss

Bestimmt hat jeder Mensch eigene Rituale verinnerlicht, die ihn in einen Zustand der Entspannung und Ruhe versetzen; ihm also ein Gefühl schenken, das man Wohlfühl-Gefühl nennen könnte. Und wenn hier jetzt von Kaffee die Rede ist, dann deshalb, weil schon die bloße Nennung dieses Begriffs beim Verfasser alle Synapsen auf Wohlsein programmiert.

Kaffee - für die meisten Menschen auch ein Synonym für Entspannung und wohl fühlen. (Foto: Foto: DPA)

Kaffee also. Mit Kaffee ist unsereiner aufgewachsen, nicht mit der immergleichen Sorte von Kaffee. Der gereichte Kaffee war abgestimmt auf Tageszeit und Anlass. Zum Frühstück gab es ihn gefiltert, nach dem Essen kam er klein und stark daher und wenn man hinausfuhr aufs Land, die Großeltern zu besuchen, tischte die Oma ihre sehr eigene Kreation auf. Die Oma hatte den Krieg erlebt und das ganze Elend danach, sie war wie alle Omas auf Sparsamkeit geeicht, ging entsprechend sorgsam mit dem kostbaren Pulver um. Man konnte also, durch den dünnen Kaffee hindurch, das Muster auf dem Boden der Tasse erkennen. Das Muster bestand aus blauen Blumen, weshalb sich für diese Art der Name Blümchenkaffee einbürgerte.

Wohlfühlen hat zu tun mit erinnern: an eine Zeit, die anders war, besser. Auch wenn das, wenn man die Vergangenheit genauer analysiert, gar nicht stimmt. Aber Wohlfühlen hat nichts mit Analysieren zu tun, Wohlfühlen hat mit dem Bauch zu tun und dieser Bauch lässt unsereins verzweifelt herumirren auf der Suche nach diesem Blümchenkaffee, der vielleicht nicht besonders schmeckte, aber darauf kommt es nicht an. Wo Blümchenkaffe gereicht wird, rauschen die Ulmen vor der Tür, wie damals bei der Oma. Wo es Blümchenkaffee gibt, muss es auch Geborgenheit geben und Gutenachtgeschichten. Sentimentale Assoziationen, bestimmt. Aber es gibt ihn nicht mehr, den Blümchenkaffee. Was finden wir in den modernen Cafés? Die ganze, große Auswahl, Lavazza und Illy und Segafredo. Von Wohlfühl-Aroma gespeist sind angeblich alle Kaffees, aber dort zischt die Milchschaumdüse und würgt jedes Gespräch ab und am Nebentisch sagt irgendeiner, er wünsche einen Expresso. Immer sagen sie in deutschen Cafés, sie wünschten einen Expresso: sie wollen wie Italiener sein, aber scheitern bereits an den einfachsten Worten. Expresso. Latte martschiatio. Das Kaffeetrinken im Café ist sozusagen die große Welt im kleinen, ein Mikrokosmos. Voller Menschen, die sich verirren in der Menge des Angebots; die Kaffee bestellen, dessen Namen sie nicht aussprechen können; die also Weltläufigkeit vortäuschen, wo in Wahrheit nichts ist als Spießigkeit. Und Kaffeetassen gibt es auch nicht mehr, aber wenn doch, sind keine Blumen drauf, sondern Markennamen. Oder man bekommt den Kaffee in Pappbechern, die nicht voll sind oder halbvoll, sondern medium, large oder x-large.

Was das mit Wohlfühlen zu tun hat? Nichts, gar nichts. Eher mit Business. Die Kaffeebrüher müssen so viele Kaffees anbieten, müssen sich immer neue ausdenken oder alte Kaffees aus aller Welt in ihr Café entführen, die Wiener Melange zum Beispiel, den Kapuziner und den Einspänner. Diese Kaffees schmecken in der Fremde niemals so wie in Wien, aber was will man machen. Die Kaffeeindustrie muss etwas bieten, denn der Kaffeeverbrauch ist rückläufig: Die jungen Konsumenten wollen geködert werden, sonst kippen sie nur noch Energydrinks und Alkopops in sich hinein. Tja, Kaffee, so ein ganz normaler Kaffee, ist nicht cool. Dabei kam es nie darauf an, dass Kaffee cool sei, er war immer das Gegenteil von cool. Deswegen hieß er ja so wie das Gegenteil von cool: Blümchenkaffee. Aber jetzt? Sagen Sie doch mal in einem dieser neuen, glas- und metallgeprägten Cafés, sie wollen einen Blümchenkaffee - die volltätowierte, bauchfreie Bedienung wird sie sehr auslachen und dabei wird ihr doppeltes Nabel-Piercing heftig wackeln.

Der Stoff aus dem die Träume sind - Kaffeebohnen. (Foto: Foto: DPA)

Wer trotzdem Blümchenkaffee will, aber über keine Oma mehr verfügt, dem bietet sich als Ausweg allein die Deutsche Bahn. Dort schenken sie noch immer einen Kaffee aus, der es wenigstens an Dünnheit aufnehmen kann mit dem Gebräu von damals und wenn abermals zwischen Kassel-Wilhelmshöhe und Fulda die Oberleitung beschädigt ist und sich die Weiterfahrt des Zuges auf unbestimmte Zeit verzögert, kann man das Handy ausstellen, alle Termine vergessen und ein Gefühl dafür kriegen, was das für eine glückliche Zeit war, als es Termine und Handys und Expressos noch nicht gab.

© Holger Gertz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: