Klettern:Wo auch die Kleinen abheben

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Am bayerischen Alpenrand wurden in den letzten Jahren etliche familienfreundliche Klettergärten eingerichtet.

Michael Pröttel

(SZ vom 13.7.01) - "Kannst du uns vier nicht mal zum Klettern mitnehmen?" Die von einem befreundeten Pärchen gestellte Frage hätte früher arge Verlegenheit verursacht. Wo sollte man zwei Erwachsenen und zwei Töchtern im Alter von fünf und elf Jahren das Kraxeln beibringen?

Die Ziegelwies-Kante ist für den ersten Kletterversuch in freier Wildbahn ideal (Foto: Fotos: Pröttel)

Die altbekannten Klassiker "Bad Heilbrunn" und "Frauenwasserl" im Tölzer beziehungsweise Werdenfelser Land haben kurze Zubringerwege, für Kinder geeignete Einstiegsbereiche und bieten nicht allzu schwere Touren. An schönen Tagen herrscht allerdings in beiden Gebieten Gedränge - was gerade Anfängern den Sport verleiden kann.

Die Kletterberge der Bayerischen Voralpen sind für Familien, die gerade erst mit dem Klettern anfangen, auch nicht gerade ideal: Lange Zustiege zu Plankenstein, Ruchenköpfen und Co. verschrecken die Kinder, die relativ weiten Hakenabstände den erstmals vorsteigenden Papa . Und an den interessanten Kletterfelsen von Kochel, an der "Chinesischen Mauer" bei Scharnitz und den "Schleier Wasserfällen" bei Kufstein hebt kaum ein Anfänger wirklich ab - weil er im wahrsten Sinn des Wortes keinen Fuß vom Boden bringt, da die Kletterei für ihn zu schwierig ist.

Erste Versuche in der Halle

In einigen Gebieten aber wie zum Beispiel bei Kochel oder Füssen wurden in den letzten Jahren auch leichtere Felsmassive erschlossen. Einen guten Überblick über die Routen (bis zum VII. Schwierigkeitsgrad) geben die Kletter-Führer der "Softrock-Reihe". Bevor es an den harten Fels geht, sollten die ersten Kletterversuche in einer Halle unternommen werden. Die künstlichen Kraxelarenen sprießen überall wie Pilze aus dem Boden. Weite Anfahrtswege gehören in der Regel der Vergangenheit an.

So fährt auch die oberbayerische Anfänger-Familie an einem verregneten Sonntag erst einmal in die Rosenheimer Kletterhalle: Aufgeregt probieren Nina und Jessica Leih-Schuhe an, während sich die Eltern mit den Grundlagen des Anseilens und Sicherns vertraut machen. Schnell stellt sich heraus wie gut die Entscheidung für die Halle war: Nach zwei Toprope-Touren (von oben durch Umlenkung gesichert) klettert Mutter Janis gleich ihren ersten "Fünfer" im Vorstieg; ihr Mann wird vom Ehrgeiz gepackt, es ihr gleichzutun.

Auch die elfjährige Jessica zieht sich stolz an den großen, roten Griffen empor. Nur für die kleine Nina sind die Abstände zu weit auseinander, um vom Hallenboden wegzukommen. Und leider gibt es in Rosenheim keine der beliebten Kinderwände, an denen sich die Kletterzwerge an bunten Elefanten oder Kängurus hochziehen können.

Einfach die Wand hochlaufen

"Stell dich doch mit den Füßen gegen die Wand", rät der helfende Kletterexperte. "Wenn der Papa kräftig am Seil zieht, kannst du die Wand einfach hoch laufen." Dass lässt sich Nina natürlich nicht zweimal sagen. So lernt sie ganz nebenbei auch gleich, wie man sich später richtig abseilt. Denn egal ob Erwachsener oder Kind, anfangs traut sich dabei kaum einer, im Gurt hängend, sich richtig zurückzulehnen - klebt vielmehr ängstlich an der Wand.

Bald schon beschäftigen sich die beiden Frauen mit noch schwierigeren Routen. Und als hätte sie nie etwas anderes getan, klinkt Janis zum Abschluss die Umlenkung einer Sechs-minus-Tour.

In freier Wildbahn

Für den ersten Kletterversuch in "freier Wildbahn" sind die bei Füssen gelegenen Felsen "Ziegelwiese" und "Schwanseeplatten" eine gute Wahl. Auf dem Weg dorthin liegt ein wunderschöner See, der sich zum Baden und Spielen geradezu aufdrängt, der Blick auf die Königsschlösser - ein Postkartenpanorama.

Mit dabei sind diesmal Kinder im Alter von vier bis elf Jahren. Die "Wiese" ist eigentlich ein breiter Platz, der von drei kleinen Felsmassiven umrahmt ist mit einem Schwierigkeitsspektrum von II+ bis maximal VI, viele der Routen müssen toprope eingerichtet werden; die dafür zu verwendenden Bäume und Umlenkhaken sind auf Pfaden leicht zugänglich. Dieses Toprope-Klettern stellt sich für die Youngster Laura (5 Jahre) und Annuk (7 Jahre) als ideal heraus: Denn kleinere Kinder haben auch in leichten Routen Mühe, die Griffe einer durch die Hakenreihe vorgegebenen Tour zu erreichen. Bei einer Toprope-Wandkletterei aber können sie mal nach rechts, mal nach links queren und immer auf der Suche nach dem leichtesten Weg höher steigen.

Farbbänder an den Armen

Apropos "links und rechts": Ratschläge wie "Schau doch mal, neben deiner linken Hand ist ein ganz großer Griff" führen bei den Kleinsten zwar zu intensiver Suche - aber meistens mit der falschen Hand. Beim nächsten Mal werden blaue und rote Bändchen für Arme und Füße eingepackt.

Der elfjährige Nils ist von den leichten IIIer Touren schnell unterfordert. Als die beiden Mädchen das Interesse am Klettern verlieren und mit den umliegenden Hölzern ein imaginäres Lagerfeuer errichten, geht es zum Abschluss mit dem Jungen zu den schwereren Schwanseeplatten.

Leider entpuppen sich die durch den Wald schimmernden Felsen als flache, kleingriffige Reibungskletterei, die schnell langweilig wird. Aber bei Anfängern, die wie die Kinder wenig Kraft in den Armen haben, sind solche Routen durchaus beliebt. Nils kommt jedenfalls voll auf seine Kosten und schafft eine V+/VI-. Voll Übermut will er unbedingt eine Tour selber vorsteigen. Doch sein Kletterstil ist dafür noch viel zu ungestüm. Seine Mutter würde es ihm eh auf keinen Fall erlauben.

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