Indien:Der indische Patient

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(München) - Verehrter Feuerstein, Obwohl ich nie nach Indien wollte - überall hin, aber nicht nach Indien - hat meine Frau im Rahmen einer tückischen Absprache mit der Reiseredaktion einen so genannten Wellnessurlaub für sich und für mich ebendort gebucht. Die Reise führt einige Tage nach Neu Delhi und dann auf einen Ausläufer der Himalajakette, 1000 Meter über der heiligen Stadt Rishikesh am Ganges. Obwohl wir dort im luxuriösen Mandarin Ananda in the Himalayas untergebracht sind, habe ich Angst. Vor freiliegenden Stromkabeln, Lepra, sämtlichen Pest- und Fieber-Arten sowie anderen Krankheiten, die sich alle Indienreisenden, die ich kenne, bisher dort geholt haben. Zum Beispiel die Amöben-Ruhr. Da ich weiß, dass Sie schon viel rumgekommen sind, bitte ich Sie, mir mitzuteilen, auf was und wen man in Indien achten sollte. Danke. Ihr G.

Wellness-Urlaub in Indien: Gorkov hat noch keine Ahnung, worauf er sich da eingelassen hat. (Foto: N/A)

(Köln) - Lieber G., Angst vor freiliegenden Stromkabeln brauchen Sie nur in Deutschland zu haben. In Indien werden freiliegende Stromkabel sofort geklaut. Problematisch hingegen ist Ihre Angst vor der Amöben-Ruhr. Denn Parasiten spüren diese Angst, weil sie darin - zu Recht - eine Schwäche vermuten, und werden Sie sofort befallen. Da Sie aber einen Wellnessurlaub gebucht haben, kriegen Sie ohnehin nichts Anständiges zu essen, und die Amöben werden elend verhungern. Ich finde das ziemlich schäbig, denn vergessen Sie nicht: Auch wir Menschen sind Schmarotzer im Schoße der Natur. Gute Reise. Ihr Herbert Feuerstein

(München) - Lieber Feuerstein, Vielen Dank für Ihren Brief. Ich habe mir heute noch eine Hepatitis-Prophylaxe spritzen lassen, ferner sind wir jetzt im Besitz von Malaria-Tabletten, die aber nach Auskunft der Ärztin im Extremfall nichts nützen. In Delhi sind wir im neuen Grand Hyatt untergebracht. Die Hotels sind sehr teuer. Zwar ist dort die Gefahr, an Amöben-Ruhr zu erkranken, geringer. Andererseits frage ich mich, ob es angemessen ist, auf diese Art und Weise durch ein so armes Land zu reisen. Aber: Wellness ist Wellness! Oder? Ihr G.

(Köln) - Lieber G., Nein. Wellness ist überhaupt nicht Wellness, wenn man sich quengelnd und voller Schuldgefühle darauf zu bewegt. Vergessen Sie nicht: Sie sollen sich erholen, und nicht Mutter Teresa ersetzen. Natürlich gebe ich Ihnen gerne und jederzeit den gewünschten Rat. Derzeit würde dieser lauten: bleiben Sie zu Hause! Ihr Herbert Feuerstein

PS: Machen Sie sich keinen Kopf wegen der hohen Hotelpreise. Luxushotels schaffen eine Menge Arbeitsplätze, und mit fünf Hunnies pro Tag und Zimmer tun sie mehr für Indien als mit einem schlechten Gewissen im Schlafsack.

(Delhi) - Lieber Feuerstein, Ich schreibe Ihnen schon aus Delhi, obwohl ich Ihnen eigentlich erst aus Rishikesh schreiben wollte, dem Ort, in dessen Nähe unser Wellnessurlaub beginnt. Der Grund: Ich musste heute einmal an Deutschland denken, und einmal an Sie.

Zu Deutschland: Auch das indische Parlamentsviertel in Delhi ist übersät von Affen. Hunderte von ihnen sprinten rund um den Regierungspalast und spielen sich am Po herum. Wenn man ein Foto von ihnen machen will, lächeln sie. Unsere indische Begleiterin sagte, dass die Affen nur deshalb lächeln, weil sie erwarten, dass vorne aus dem Fotoapparat Nüsse fallen. Fallen keine Nüsse heraus, werden sie ungemütlich. Da wir keine Nüsse dabei hatten, sind wir noch ein wenig pfeifend die Straße entlang gelaufen und dann schnell in ein Taxi gesprungen. Nun, lieber Feuerstein, zu Ihnen: Geht man nachts durch Delhi, ist man kontinuierlich von kleinen Männern umgeben, die einem irgendeinen Quatsch andrehen wollen.

Um Ihnen zu erläutern, wie das nervt, habe ich mitgezählt: Hätte ich nicht 48 Mal "No!" gerufen, wären wir jetzt Besitzer von: 24 Miniatur-Backgammon-Spielen, sieben Bastschachteln, aus denen kleine Papierschlangen springen, vier Jahrespackungen mit weißen Briefumschlägen, sechs angekohlten Süßkartoffeln, die sicher die Amöben-Ruhr transportieren, drei Packungen mit Gewürzmischungen, die man zwecks besserer Verdauung kauen und ausspucken soll, und die dabei blutrote Flecken hinterlassen - sowie zwei unechten, vielmehr elektrischen Westhighland-Terriern, die mit dem Schwanz wedeln und lustige Lieder singen. Natürlich haben wir uns den Unsinn nicht andrehen lassen, wir sind ja nicht in Deutschland.

Da wir nun schon zwei Tage in Indien sind, machen Sie sich sicher Sorgen um unsere Gesundheit. Ich möchte Sie beruhigen: Die Emirates Airlines haben uns ohne eine Minute Verspätung von München nach Delhi transportiert. Der Service an Bord war hervorragend, und eisgekühlter Rotwein ist sicher eine Spezialität der Vereinigten Arabischen Emirate, auf die die nationale Fluglinie besonders stolz ist. Interessant war auch der Zwischenstopp in Dubai, sieht man davon ab, dass wir uns den Porsche im Duty-Free-Shop nicht leisten konnten. Das Grand Hyatt in Delhi hat erst seit einigen Wochen geöffnet, liegt klimatechnisch günstig etwas außerhalb des City-Smogs von Delhi und ist voller Personal, das sich so benimmt, wie man selbst zu Hause: es ist ständig damit beschäftigt, Liebe und Zuspruch zu verteilen. Betritt man die Lobby, fragen umgehend und nacheinander bis zu zehn Männer und Frauen, ob das Zimmer in Ordnung sei, ob man nicht in den Pool wolle, ob man eine Massage brauche, oder einen Kuchen vom österreichischen Konditormeister, oder die druckfrische Hindustan Times, oder eine Reservierung für den Abend im Tandoori-Restaurant.

Zu Delhi: Mir war bisher nicht unbekannt, wie viele arme Menschen es in dieser Stadt gibt. Ich werde Ihnen davon aber nicht erzählen, weil Sie sonst dumme Witze über unser teures Hotel machen. Berichten möchte ich Ihnen - bevor wir morgen nach Old Delhi aufbrechen - von den sensationell schönen Frauenskulpturen aus dem 6. bis 11. Jahrhundert, die im Indischen Nationalmuseum ausgestellt sind. Dass die Inderinnen diese Schönheit plus eines eigentümlich wissenden Blicks heute noch spazieren tragen, gehört mit Sicherheit zu den großen Vorteilen dieser anderen Welt. Es grüßt Sie Ihr G.

(Köln) - Lieber G., Schön, dass Sie gut angekommen sind. Hätte ich Ihnen nach der Jammerei in den ersten Briefen gar nicht zugetraut. Zunächst zu den Affen. Da mache ich mir Vorwürfe, Sie vorher nicht gewarnt zu haben. Denn im Unterschied zu den niedlichen Spaßtierchen, wie wir sie aus dem Fernsehen kennen, sind die Profi-Affen, die sich vor den Touristenfallen als Fotomodelle anbieten, nichts als lästige, gefräßige und bösartige Sittenstrolche. Ich erinnere mich mit Schaudern an einen Vorfall vor gut einem Jahr in Birma, wo uns eine Affenhorde die Tempeltreppe runter jagte. Einer grinste besonders eklig und versuchte dauernd, meiner Frau in den Hintern zu kneifen. Das machen sonst nur Italiener im Bus.

Der Duty-Free-Shop von Dubai ist ein Ding, was? Da wundert mich, dass nur ein lächerlicher Porsche angeboten wurde. Angesichts des derzeitigen Ölpreises hätte ich erwartet, dass ein Airbus und ein französisches Renaissance-Schloss als Mitbringsel für die Rückreise nach Saudi-Arabien bereitstehen. Keine Angst übrigens vor der blutroten Spucke in Delhi, der Sie sicher noch öfter begegnen werden. Das ist ein Endprodukt des Betelnuss-Kauens, völlig harmlos für Sie, und auch für den Kauer nur dann gefährlich, wenn in der Spucke ein paar Zähne liegen. Der Saft greift das Zahnfleisch an.

Ehrlich berührt hat mich Ihre Bemerkung über den "eigentümlich wissenden Blick" der Inderinnen. Das war auch immer wieder meine Erfahrung: Dieser kurze, tiefe, durchdringende Blick aus diesen wunderschönen dunklen Augen. Und ganz bestimmt haben Sie gespürt, was er uns sagen will: "Du arrogantes, geiles, westliches Arschloch." Im Übrigen können Sie mir ruhig alles erzählen, auch auf die Gefahr hin, dass ich dumme Witze darüber mache. Ich mache auch dumme Witze, wenn Sie nichts erzählen. Ihr Herbert Feuerstein

P.S.: Schön, dass Sie an mich gedacht haben. Umgekehrt kann ich das leider nicht sagen.

(Delhi) - Lieber Feuerstein, Vielen Dank für Ihre prompte Antwort. Gerade wenn man einen Tag im smoggetränkten Old Delhi verbracht hat, ist es schön zu wissen, dass in der anderen großen lebensfeindlichen Stadt dieser Welt - in Köln - jemand ist, der ein offenes Ohr hat.

Dass unser Wellnessurlaub in Delhi beginnt, ist nur logisch. Wellness kann nur genießen, wer Wellness zu schätzen weiß, und nach einem Tag in Old Delhi weiß man Wellness zu schätzen. Insgesamt muss man sagen: Kinder, gehts uns gut daheim! Sie haben Recht, wir sollten weniger jammern.

Hier ist es in Sachen Wellness, wie erwartet, turbulent. Noch wehren wir uns prächtig, ich mit Hefetabletten, von denen ich 3 Mal täglich 2 nehme, man weiß ja nie. Meine Frau hat eben noch eine "Aktren" eingeworfen, weil der Taxifahrer, der heute den ganzen Tag über ein ebenso rätselhafter wie zuverlässiger Begleiter durch Delhi war, notorisch die Klimaanlage bediente, anstatt sie auszuschalten. So stand sie entweder auf "Freeze" oder auf "Hot". Jetzt hat meine Frau eine Art indische Grippe. Sie ist ziemlich krank, (ich habe es geahnt), das zauberhafte Personal des Grand Hyatt kam umgehend aus Ecken und Hecken und bot die besten Ärzte Delhis sowie Inhalationsgeräte an.

Hilfe wie diese werden wir noch gerne in Anspruch nehmen, wenn unsere umfangreiche Reiseapotheke alle ist, was womöglich nicht mehr lange dauert, bei den ganzen Krankheiten, die ich mir einbilde sowie der indischen Grippe, die meine Frau schon hat. Noch eine Anmerkung zu unserem Taxifahrer und den Taxifahrern hier: Da Sie, lieber Feuerstein, rund 10 Jahre in New York gelebt haben, wollen Sie sicher wissen, wieso indische Taxifahrer in New York nicht Auto fahren können. Antwort: Weil sie in Delhi die Führerscheinprüfung nicht bestanden haben und auswandern mussten. Fakt ist, dass die Männer hier ihre Autos problemlos durch einen Schwarm entgegenkommender Rikschas, Schwertransporter und Kühe steuern, ohne dass die Kühe zu Schaden kommen.

Ich glaube, die Taxifahrer in Delhi halten sich deshalb für Künstler und benehmen sich dementsprechend sonderbar. Unser Fahrer zum Beispiel sagte auf alles, was wir ihn fragten, etwas, das wir nicht verstanden. Das ging so eine ganze Zeit, bis wir ihn fragten, ob er uns aus Sicherheitsgründen auf unserem Spaziergang durch die atemberaubenden Gassen Old Delhis begleiten könne. Darauf entgegnete er in fließendem Englisch: "No, you go through little streets and take care of your bags and wallets. And I wait in my car at parking place and then, if you come back, we drive to Gandhi Memorial."

Zum Abschied hat er uns 100 Rupien extra berechnet, die auf Grund der steten Nutzung seiner Klimaanlage angefallen seien. Sicher werden indische Taxifahrer als deutsche Fernsehintendanten wiedergeboren.

Andererseits, lieber Feuerstein, kommt man als reisefeindlicher Mensch nicht umhin, die Inderinnen und Inder zu loben. Gerade die engen Gassen Old Delhis sind eine Attacke auf die Sinne, aber die Menschen hier, die Reichen wie die Bettelarmen, tragen mehr Weisheit im kleinen Finger mit sich herum als bei uns Kirchenoberhäupter unter ihren Kutten. Irgendwie sind hier alle netter, verspielter, gelassener als vergleichbare Kölner. Von Münchnern zu schweigen. Das indische Verkehrsministerium rät sogar zur Meditation im Auto: Auf roten Ampeln über den Straßen in Delhi steht "Relax". Wird die Ampel grün, fangen alle gleichzeitig an zu hupen und in den Gegenverkehr zu fahren. Dort hupen sie weiter, bewegen sich aber keinen Meter mehr. Wieder, lieber Feuerstein, musste ich da an Sie denken! Ich höre von Ihnen? Ihr G.

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