Gerichtsbeschluss:"Einheimische sind kein Reisemangel"

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Die Ferien kosten, dafür will man ungetrübtes Vergnügen. Stellt sich das nicht ein, zerren viele Urlauber ihre Reiseveranstalter vor Gericht. Und dort muss dann noch die absurdeste Klage verhandelt werden.

JEAN PLESS

Amtsgerichte dürfen laut Zivilprozessordnung Klagen nicht als unbegründet ablehnen. Sie müssen sich mit jedem Fall befassen, auch wenn dieser "unerklärlich" ist wie der folgende, über den ein Richter am Amtsgericht Aschaffenburg zu befinden hatte. Ein Ehepaar, soeben von Mauritius zurückgekehrt, reichte Klage ein wegen der Fliegen auf dem Frühstücksbuffet sowie wegen des "Ekel erregenden" Abendessens im Hotel. Das Gericht sah darin keine objektiven Reisemängel, worauf das Ehepaar noch eine Beschwerde nachschob: Am Strand seien Einheimische gewesen, die zudem Lärm gemacht hätten. Das Urteil (AZ: 13 C 3517/95) ging in die Reiserechts-Portale im Internet als bündiger Merksatz für Auslandsreisende ein: "Einheimische sind kein Reisemangel".

Stellen Sie sich vor, sie biegen in Mauritius um die Ecke und Ruth Maria Kubitschek will Ihnen die Hand geben! Dafür können Sie vor einem deutschen Gericht anschließend bestimmt keinen Schadensersatz einklagen. (Foto: Foto: dpa)

Die Begründung des Aschaffenburger Urteils zeigt indes, wie weit richterliches Ermessen und die Ansprüche von Pauschaltouristen bisweilen auseinander klaffen: Wer reise, sei offensichtlich darum bemüht, andere Länder und Leute kennen zu lernen, argumentierte der Richter. Bei einem Urlauber müsse man deshalb die entsprechende Toleranz voraussetzen. Klagen, die deutsche Amtsrichter auch nach dem Aschaffenburger Urteil bearbeiten mussten, ergeben ein anderes Bild: So sah sich das Landgericht Kleve 1996 (AZ: 6 S 34/96) veranlasst, darauf hinzuweisen, dass es normal sei, wenn Kinder auch in einem Ferienhotel beim Essen gelegentlich kleckern. Genau das hatten Gäste des Hauses beanstandet und eine Minderung des Reisepreises gefordert. 1998 musste ein Richter am Amtsgericht Nürnberg (AZ: 20 C 4724/98) erklären, dass auch "Lebensäußerungen von Einheimischen" keinen Reisemangel darstellen. Ein Ehepaar hatte mehr als die Hälfte des Preises ihrer Reise nach Sri Lanka zurückgefordert, unter anderem weil das Hotel neben einem Dorf stand, dessen Einwohner "natürliche Emissionen" erzeugt hätten. Ebenfalls gegen einheimisches Dorfleben wandte sich zwei Jahre später ein Türkei-Reisender: Ihm wurde vom Landgericht Kleve beschieden (AZ: 6 S 280/00), dass er es in einem "ursprünglichen Land" zu ertragen habe, wenn "unter dem Hotelbalkon Hähne auftauchen und ihre Lebensäußerungen zum Besten geben".

Das einzelne Urteil ist im Zweifelsfall nachvollziehbar, auch wenn man sich darüber streiten mag. Urteilssammlungen wie die Frankfurter Tabelle hingegen sind wenig aussagekräftig, weil sie einen großen Interpretationsspielraum lassen. Dort findet sich zum Beispiel unter dem Stichpunkt "Beeinträchtigungen" wie "Lärm am Tage" ein möglicher Anspruch auf fünf bis 25 Prozent des Reisepreises, für "Gerüche" fünf bis 15 Prozent, für "verschmutzte Strände" zehn bis 20 Prozent. "Der Katalog verleitet, ohne es zu bezwecken, Urlauber zu unsinnigen Klagen", sagt der Reiserechtler Ronald Schmid von der TU Dresden (siehe Interview). Grundsätzlich gelte, dass der Veranstalter nicht für das Verhalten von Einheimischen und Mitreisenden verantwortlich gemacht werden könne. Klagen um Minderung des Reisepreises, weil der Tischnachbar schlechte Manieren hatte oder der Fluggast nebenan geschnarcht hat, werden deshalb in der Regel abgewiesen (etwa Amtsgericht Hamburg - AZ: 9 C 23343/94 und Amtsgericht Frankfurt - AZ: 31 C 842/01 - 83).

Weniger einheitlich ist indes die Rechtssprechung, wenn Urlauber Leistungen von Veranstaltern und Hoteliers bemängeln. Höchst eigenwillig fallen laut Schmid oftmals die Urteile des Landgerichts Frankfurt aus. So entschieden die Richter entgegen gängiger Rechtsauffassung, dass die Pflicht zum Tragen von All-inclusive-Armbändern einen Reisemangel darstelle - schon weil der Träger deshalb auch außerhalb der Hotelanlage als Tourist erkennbar sei (AZ: 2-24 S341/98). Keinen Reisemangel erkannten sie hingegen in einer Fischvergiftung durch Hotel-Essen in der Karibik (AZ: 2-24 S 496/94). "Allgemeines Lebensrisiko", lautete die Begründung der Frankfurter Richter.

Gerade bei Erkrankungen im Ausland sei jedoch zu berücksichtigen, wie stark ein Reisender durch sie beeinträchtigt wird, sagt Ernst Führich vom Kompetenzzentrum Reiserecht an der Fachhochschule Kempten. "Wer etwa nachweisen kann, dass er sich im Hotel mit Salmonellen infiziert hat und deshalb ins Krankenhaus musste, hat nach Paragraf 615 f BGB sogar Anspruch auf Schadenersatz." Den sieht für den Fall "entgangener Urlaubsfreude" inzwischen auch der Europäische Gerichtshof (AZ: C-168/00) vor - allerdings unter Vorbehalt der objektiven Nachweisbarkeit.

Wie unterschiedlich die Gerichte diesen Aspekt bewerten, zeigen zwei Urteile zu fehlenden Doppelbetten: Weil es am Urlaubsort statt des gebuchten Zimmers mit Doppelbett nur einen fensterlosen Raum mit Ausziehcouch vorfand, erhielt ein Ehepaar vom Landgericht Kleve die Hälfte des Reisepreises zurück (AZ: 6 S 101/00). In einem ähnlichen Fall beschied das Amtsgericht Mönchengladbach (AZ: 5 a C 106/91) dem Kläger hingegen, er hätte leicht selbst aus zwei einzelnen ein Doppelbett basteln können, notfalls mit seinem Hosengürtel. Dass eine derartige Konstruktion möglicherweise der sexuellen Aktivität des Klägers nicht standgehalten hätte, ließ das Gericht als Minderungsgrund nicht gelten: Es komme, so der Richter, nicht auf die spezifischen Bedürfnisse eines Urlaubers an, sondern darauf, ob "Betten für einen durchschnittlichen Reisenden ungeeignet sind".

© SZ v. 16.12.2003 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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