Frisch bezogen:Zimmer mit Aussicht

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Im Weinviertel hat die Caritas ein Gästehaus eröffnet, in dem Menschen mit geistiger Beeinträchtigung arbeiten. Die Mitarbeiter sind glücklich über die Anerkennung, die Urlauber erfreuen sich an einem stilvoll umgebauten Kloster.

Von Evelyn Pschak

In diesem Haus lächeln sogar die Frühstückseier. Mit Filzstift hat ihnen jemand ein dickes Smiley aufgemalt. Auch der Frühstücksraum der Pension selbst ist heiter: Viel Licht fällt durch die Sprossenfenster. Alle Gäste teilen sich eine lange Tafel. Man sitzt unter einem hohen, weiß verputzten Gewölbe, und aus der Küche ist eine launige Unterhaltung zu hören, von den Menschen, die dort arbeiten. "Klienten" nennen sie sie hier.

Im niederösterreichischen Dorf Unternalb, in einem ehemaligen Benediktinerkloster mitten im Weinviertel, hat die Caritas der Erzdiözese Wien 2016 ihr erstes Gästehaus eröffnet, in dem Menschen mit geistiger Beeinträchtigung arbeiten. "Obenauf" heißt es. Zehn betreute Mitarbeiter erledigen Aufgaben am Empfang und in der Raumpflege, kaufen ein oder bereiten das Frühstück zu. Das Projekt entstand in Kooperation mit dem Land Niederösterreich; es wird als Tagesstätte nach dem dortigen Sozialhilfegesetz geführt und staatlich gefördert. Die Mitarbeiter bekommen kein Gehalt, sondern einen Anerkennungsbetrag. Bis zum hoffentlich nächsten Schritt: einer Stelle in der freien Wirtschaft. Im Obenauf sollen sie dafür das Rüstzeug erlernen. Dass das nicht einfach ist, wissen die Organisatoren - bislang hat keiner ihrer Mitarbeiter das Obenauf verlassen.

"Prunk-Zimmer" nennen die Mitarbeiter das Zimmer Nummer 1, in dem die historische Deckenmalerei freigelegt wurde. (Foto: Markus Fattinger)

An der Arbeit mache ihr eigentlich alles Spaß, sagt Nicole Neuhauser. "Am liebsten aber bereite ich das Frühstück vor." Die 28-Jährige gehört seit der Eröffnung zum Pensions-Team und hat davor bereits in der Tischlerei des Klosterareals gearbeitet. Seit 1984 betreibt die Caritas in dem Gehöft Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Eine Gärtnerei und Schweißerei gehören dazu. Auf den Wiesen neben den Obstbaumalleen leben Alpakas, Schafe, Kühe, schwarzfleckige Turopolje-Schweine und 220 Hühner. Nun gibt es inmitten der Anlage auch noch fünf Pensionszimmer, im Westflügel eines hellgelb gestrichenen Dreikanthofs. Das Haus ist für alle offen. Vor allem logieren Gäste, die auf die ein oder andere Weise schon mit Behinderung in Kontakt gekommen sind, sei es über die eigene Familie, durch den Bekanntenkreis oder beruflich bedingt, wie die zwei Studentinnen der Sozialwissenschaften. Sie haben hier schon Praktika absolviert, und die Pension hat ihnen so gut gefallen, dass sie die Zimmer unbedingt auch einmal privat ausprobieren wollten.

Die Klienten sind im Umgang mit den Gästen sehr zugewandt, und sie treten gerne in der Gruppe auf. Als beispielsweise beim Frühstück die Cappuccinomaschine streikt, stellen sich gleich vier Servicekräfte und ein Betreuer neben den Gast, um zu überlegen, woran es liegen könnte. Schließlich lautet die Erklärung ganz ungezwungen: "Es ist halt Montag."

Hinter der herrschaftlichen Auffahrt lässt eine dicke Weide im Innenhof ihre Zweige auf ein Bänkchen sinken. "Im Baum sitzen im Sommer zwei Uhus, wegen denen müssen wir die Bank jeden Tag putzen", sagt Nicole Neuhauser, "so sehr misten die." Überhaupt sei immer genug zu tun. Auch beim Umbau des ehemaligen Pfarrhauses zur Pension habe sie mitgeholfen. "Da haben wir ganz schön geschleppt."

Die Plackerei hat sich gelohnt. Bereits bei einem anderen Projekt, dem "Magdas" in Wien, hatte die Caritas mithilfe des Wiener Architektenbüros AllesWirdGut ein tristes Seniorenheim der 1960er-Jahre in ein schickes Hotel umgewandelt. Im Magdas arbeiten Asylbewerber und Migranten. Das Obenauf würde man ebenfalls eher in Berlin-Mitte als auf dem Land verorten: das Mobiliar in gedeckten Grüntönen, viel lasiertes Holz und Betonverschalungen, dazu eine eigens entworfene Schrift, mit denen die Wege im Haus ausgewiesen sind und alle Souvenirs beschriftet - vom selbstgemachten Kräutersalz übers Teelicht bis zum Dinkelcracker.

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(Foto: Stefanie J. Steindl)

Die Mitarbeiter sollen hier auf eine Arbeitsstelle in der freien Wirtschaft vorbereitet werden.

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(Foto: Markus Fattinger)

Die Caritas hat für den Umbau des Klosters in Unternalb nach einem innovativen architektonischen Ansatz gesucht.

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(Foto: Markus Fattinger)

Helle, hohe Räume, gedeckte Grüntöne, viel lasiertes Holz und Betonverschalungen - Design und soziales Engagement sind keine Widersprüche im "Obenauf".

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(Foto: Stefanie J. Steindl)

Die 28-jährige Nicole Neuhauser gehört seit der Eröffnung zum Pensions-Team und kümmert sich am liebsten um das Frühstück.

"Unsere Arbeit hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert", sagt Caritas-Sprecher Klaus Schwertner. Hipstertum und soziales Engagement - kein Widerspruch für ihn. Die Caritas hat für den Umbau des Klosters in Unternalb nach einem innovativen architektonischen Ansatz gesucht - und ist fündig geworden an der Technischen Universität in Wien. Peter Fattinger, der dort als Assistenzprofessor arbeitet, hat mit seinen Studenten bereits mehrere Caritas-Projekte realisiert. Beim Obenauf hätten alle gleich gewusst, worauf es ankommt, sagt der 44-Jährige: "Den Bestand nicht verunstalten, sondern adaptieren und nutzen." Und vor allem: "Neues Leben reinbringen." Früher hätten sich soziale Einrichtungen ja fast schon verdächtig gemacht, wenn sie "etwas Schönes, toll Gestaltetes" hinstellten, meint Fattinger. "Es sollte ja nur einen Zweck erfüllen. Zum Glück wird mittlerweile erkannt, dass man bei sozial engagierten Architekturprojekten über eine gute Gestaltung und eine räumliche Offenheit einen enormen Mehrwert erzielen kann, der gerade für Menschen aus Randgruppen so wichtig ist, da sie Öffnung und Einbeziehung am nötigsten haben." Dazu gehört auch das positive Feedback - es ist gut fürs Selbstwertgefühl. Die Betreuer loben viel, aber "was für ein anderes Gefühl ist es für die Klienten, wenn das Lob von einem normalen Gast kommt", sagt der Berufspädagoge Thomas Winna und setzt das "normal" mit einer Geste in Anführungszeichen, "da hat es einen ganz anderen Stellenwert".

Zimmer Nummer 1 nennen alle Mitarbeiter das "Prunk-Zimmer". Es ist das einzige, in dem die historische Deckenmalerei freigelegt wurde. Es gibt keinen Fernseher, kein Radio, keine Kaffeemaschine. Nur Stille. Die Decke liegt in einer Höhe von 4,50 Metern. Ein Zwischengeschoss mit Lesesessel hat der Pension ihren Namen gegeben. Hier, mit Blick auf Bett und Fresko, sitzt man obenauf.

Der Name stehe aber auch für die Geografie des Ortes, der knapp 100 Kilometer nördlich von Wien liegt, im sanft hügeligen Dreiländereck mit Tschechien und der Slowakei. Das pannonische Klima hier im Weinviertel, die trockenen, warmen Sommer, die kalten Winter, der geringe Niederschlag, die vielerorts sandigen Lehm- und Lößboden sorgen dafür, dass der Grüne Veltliner in Österreichs größtem Weinbaugebiet so gut gedeiht. An den Eisernen Vorhang, der bis 1989 hier verlief, erinnert heute nur mehr der "Iron Curtain Trail" im gut ausgebauten Radwegenetz.

SZ-Karte (Foto: SZ-Grafik)

Im Sommer könnte sie die Zimmer an manchen Tagen mehrmals verkaufen, sagt Elisabeth Seidl, die pädagogische Leiterin des Obenauf. Das sei betriebswirtschaftlich gesehen toll. Nur bedeute das eben auch Stress. "Wenn in allen Zimmern am gleichen Tag An- und Abreise ist, wird es sehr intensiv. Unsere Klienten können gut arbeiten und sind fleißig. Aber wir brauchen Tage dazwischen, an denen weniger los ist. Zum Durchschnaufen."

Das Wörtchen "aufatmen" haben die Design-Studenten auch an die Wand des Frühstückssaals geschrieben. Als Erinnerung daran, wofür man sich im Obenauf Zeit nehmen sollte. Sei es nun als Gast oder als "Klient".

© SZ vom 13.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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