Filmproduktionen:Bitte keine Allüren!

Lesezeit: 4 min

Vollblut-Neuseeländer und Kameramann Alun Bollinger über zickige Hollywoodstars und warum ihm das Landleben mit seinen Enkeln an der neuseeländischen Westküste wichtiger ist als "Der Herr der Ringe".

Anke Richter

Alun Bollinger, 60, ist der berühmteste und erfahrenste Kameramann Neuseelands. Er drehte frühe Kiwi-Klassiker wie "Good Bye Pork Pie" und "Vigil"; arbeitete - außer etliche Dokumentationen - für Jane Campions "Das Piano", Peter Jacksons "Heavenly Creatures" und "Herr der Ringe". Bollinger lebt mit seiner 20-köpfigen Familie auf einer kleinen Öko-Farm im ehemaligen Goldgräberdorf Reefton an der Westküste der Südinsel.

Alun Bollinger hat jahrzehntelange Erfahrungen als Kameramann. (Foto: Foto: Tourism New Zealand)

SZ: Hollywood zieht "down under", nach Neuseeland: Gerade wird "Wolverine", die Fortsetzung von "X-Men", in Queenstown gedreht, und im Norden des Landes entstehen "Avatar" und "The Lovely Bones". Was ist bei US-Produktionen anders als auf einem Kiwi-Filmset?

Alun Bollinger: Bei uns gibt's zwar auch eine Hierarchie, und am Ende entscheidet der Regisseur, aber sonst spielt die Position der Mitarbeiter keine Rolle. Den Kiwis, wie man die Neuseeländer gern nennt, leuchtet nicht ein, warum jemand mehr wert sein soll, nur weil er besser bezahlt wird.

SZ: Ihr letzter großer Film war das Maori-Epos "River Queen", das anfangs unter einem schlechten Stern stand. Das Budget reichte nicht, Hauptdarstellerin Samantha Morton ließ den Regisseur feuern, Sie mussten kurzfristig Regie führen.

Bollinger: Samantha Morton war ein Härtefall. Ich denke, sie wusste nicht, worauf sie sich einließ - mitten im Winter im tiefsten neuseeländischen Busch zu drehen ist hart. Es ist kalt und nass - an manchen Tagen schneite es morgens, und am Nachmittag knallte dafür die Sonne herunter. In dieser Natur muss man jederzeit gegen alles gewappnet sein. Das war Samantha einfach nicht. Und dann boykottierte sie die Arbeit der anderen, zerstörte deren Szenen, dachte nur an ihre eigene Rolle.

SZ: Tun sich Hollywood-Stars mit dem Gleichheitsdenken der Kiwis schwer?

Bollinger: Sie empfinden es eigentlich als Erleichterung, endlich wie normale Menschen behandelt zu werden. Aber manche brauchen etwas länger, um sich daran zu gewöhnen - zum Beispiel Michael J. Fox, der nicht glauben konnte, dass Peter Jackson bei "The Frighteners" in seinem eigenen Auto ankam, ohne Chauffeur.

SZ: Hat sich Peter Jackson durch den Ruhm verändert?

Bollinger: Nein, er war schon immer ein Profi und wusste genau, was er zu tun hat. Nur die anderen um ihn herum werden komisch. Als ich nach den Luftaufnahmen für "Herr der Ringe" mit der Crew nach Wellington kam und uns Pete dort über den Weg lief, setzte ich mich spontan mit ihm hin, um ein paar Dinge zu bereden. Der amerikanische Kameramann konnte es nicht fassen, dass ich einfach so mit dem Regisseur sprach. Ja, warum denn nicht? Schließlich drehen wir doch einen Film?!

SZ: Warum waren Sie bei Jacksons größtem Projekt nur wenige Wochen dabei?

Bollinger: "Herr der Ringe" ist kein neuseeländischer Stoff, und der interessiert mich nun mal am meisten. Ich bin nicht so ein Tolkien-Narr wie die meisten, die an der Trilogie beteiligt waren. Außerdem wollte ich mich auf keinen Fall fünf Jahre lang an ein Projekt binden`! Meine längste Drehzeit dauerte acht Monate - länger als das darf kein Job werden. Film ist nicht alles. Ich mag auch das echte Leben...

SZ: ...das Sie hier in Reefton,a n der Westküste, als halber Hippie zwischen Hühnern, Katzen, Hund und Enkeln verbringen.

Bollinger: Viele Dreharbeiten beginnen im Januar, aber dann sind gerade Sommerferien - da sage ich immer ab. Früher waren es meine Söhne, nun sind es die Enkelkinder, die dann hier sind und für die ich Zeit brauche. Wir schwimmen im Fluss, wandern in der Wildnis oder fahren ans Meer. Ich werkele herum, baue das Haus aus, mache Kompost, repariere etwas - im Moment bin ich gerade mit einem alten Vogelkäfig zugange.

SZ: Klingt nicht nach Glamour und Hollywood...

Bollinger: Los Angeles? Nichts für mich, nein danke. Filmpremieren und Preisverleihungen sind das Schlimmste: reine Publicity-Veranstaltungen und so langweilig wie Fledermausmist. Außerdem trage ich nicht gern Schlips. Wenn ich in Großstädten drehe, brauche ich jede Woche ein bis zwei Tage, in denen ich abtauchen kann, an einen Strand oder Fluss, zumindest einen Park - bloß keine Menschen.

SZ: Viele Ihrer Filme führen Sie an Orte, die Touristen kaum zu sehen bekommen: wilde Buchten an der Westküste oder entlegene Maori-Siedlungen.

Bollinger: Neulich wurde ich für eine Dokumentation angefragt, Frauen zu begleiten, die Brustkrebs überlebt hatten - auf einem Boot in Fiordland, an der Südwestküste der Südinsel. Bisher bin ich nur im Helikopter drüber geflogen. Die Schönheit dieser Gegend packt mich immer wieder, hier drehe ich am liebsten. Ich habe es von oben bis unten erlebt, aber bin noch längst nicht überall gewesen - ich war zum Beispiel noch nicht auf Stewart Island.

SZ: Was war Ihre bisher liebste Kameraarbeit?

Bollinger: Ein Dokumentarfilm über eine ältere Maori-Frau, die in einem entlegenen Teil des Urewera National Park lebt und sich um ihren schizophrenen Sohn kümmert. Fünf Wochen war ich dort. Als ich noch ein kleiner Junge war, bin ich oft mit meinem Vater in diese Wälder gereist. Daher kannte ich die Geschichte des Tuhoe-Stammes etwas besser. Alle dort sprachen Te Reo und lebten von dem, was sie anbauten. Ich hatte sowieso immer einen Fuß in der Maori-Welt, da ich auf eine Schule ging, auf der die Hälfte der Kinder Maori waren. Die grünen Hügel und der Strand, das war unsere Spielplätze. Das hat mich und meine Sicht auf viele Dinge natürlich sehr stark geprägt.

SZ: Sind Sie stolz auf das, was Neuseeland kulturell hervorbringt?

Bollinger: Aber sicher, und nicht nur im filmischen Bereich. Wir sind eine potente Nation. Mit knapp vier Millionen Einwohnern produzieren wir mehr an qualitativ hochwertiger Kunst - visuell, handwerklich und musikalisch - als eine Stadt wie Sydney, in der genauso viele Menschen leben. Kiwis sind sehr erfinderisch und praktisch talentiert. Das fängt bei der Landwirtschaft an und hört bei den Schwertern auf, die für "Herr der Ringe" geschmiedet wurden. Ich weiß nicht, warum - vielleicht tun sie uns hier irgendwas ins Wasser?

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: