Ende der Reise:Warten auf die Schneeschmelze

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Die Temperaturen steigen auf Frühsommer, trotzdem halten manche Skigebiete daran fest, jetzt den Winter zu eröffnen.

Von Dominik Prantl

Das Internet ist auch nicht mehr als ein fleißiger Depp, und wer das nicht glaubt, muss nur einmal ins Gebirge schauen. Nicht mit dem bloßen Auge oder mit dem Ofenrohr, sondern - so wie man das heute macht - per Webcam. Also: Webcam Davos, Chalet Güggel, 2500 Meter. Man sieht: eine Hütte, braune Landschaften, ein weißer Fleck im Hintergrund, der ein Schneefeld sein könnte, aber vielleicht auch nur ein Sinnes- oder Bildschirmtäuschung ist. Danach weiter zur Webcam Hochgurgl, Top Mountain Crosspoint, 2175 Meter. Man sieht: eine sehr große Hütte, braune Landschaften und ein paar weiße Flecken im Hintergrund, aus denen sich mit viel Mühe vielleicht ein Schneemännchen zusammenkratzen lässt. Die Menschen in den Tourismusverbänden von Davos und Hochgurgl-Obergurgl behaupten auf Nachfrage dennoch steif und fest: "Bei uns kann man tatsächlich schon Ski fahren."

Hochgurgl-Obergurgl hatte am vergangenen Wochenende sein sogenanntes Skigebiets-Preopening, also die Eröffnung vor der Eröffnung (klingt komisch, aber das macht man heute so); in der Nähe von Davos sind sogar schon 1,2 Kilometer Langlaufloipe präpariert. Bei überzeugten Flachlandtirolern und Hügellandpreußen mag das die Frage aufwerfen, wie so etwas angesichts subtropischer November-Temperaturen und brauner Webcam-Landschaften möglich ist. Erklären lassen sich die weißen Schneisen mit der entsprechenden Vorbereitung. Die Gurgler haben schon während einer günstigen Oktoberphase mit dem Beschneien begonnen und laut Tourismusverband 70 Kilometer Piste in die Hänge gebügelt. In Davos hielt man sich an eine von der Reisebranche adaptierte Fußballweisheit der alten Aphorismenschleuder Sepp Herberger ("Nach der Saison ist vor der Saison") und hat massenhaft Schnee vom vergangenen Winter eingelagert. Snowfarming nennt sich dieses Prinzip, was ebenso wie der "maschinell erzeugte Schnee" wunderbar illustriert, dass der Tourismus auch nicht anders funktioniert als Landwirtschaft und Industrie.

Fragt sich, wann im Frühjahr die super-leistungsstarken "Mountain Melter" (umgangssprachlich: Bergheizung) angeworfen werden, damit wir als notorische Wintermuffel endlich auch im April hoch hinaus wandern können.

© SZ vom 12.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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