Ende der Reise:Urlaub in Tschernobyl

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Anhänger des "Dark Tourism" ziehen hässliche Orte den idyllischen Stränden vor. Doch eines haben sie mit den Paradiessuchern gemein.

Von Stefan Fischer

Spanien oder Griechenland? Für viele Urlauber ist das nahezu dasselbe. Hier wie dort gibt es viel Sonne und Strand, dazu Gastgeber, die deutsch sprechen. Ob hüben oder drüben gebucht wird, liegt vor allem am Preis und vielleicht noch an kulinarischen Vorlieben. Selbst wer allzu viel Sonne nicht verträgt, der setzt sich halt in den Schatten oder fährt an die Ostsee, wo es auch Sonne gibt und Strand, nur eben nicht in südlichem Übermaß. Sehr klein hingegen ist die Fraktion der Touristen, die es nicht mit dem Herdentrieb halten. Sie hat für die nach vermeintlichen Urlaubsparadiesen gierende Masse nur ein abfälliges "Zum Vergnügen kann jeder in die Ferien fahren" übrig. Und wendet sich selbst den rauen Seiten des Reisens zu.

Nun scheint die Sonne sogar über Tschernobyl (nur mit dem Strand hapert es). Vor allem strahlen in der nordukrainischen Stadt jedoch die radioaktiven Elemente, die 1986 bei der Reaktorkatastrophe freigesetzt worden sind. Nach wie vor. Aber so wie es unter den Pflanzen Pioniere gibt, die verwüstetes Terrain für die Flora wieder in Besitz nehmen oder sich in grundsätzlich lebensfeindliche Regionen vorantasten, gibt es auch unter den Menschen Abenteuer-Touristen, die unbedingt dort hinmüssen, wo die etwas bequemeren Exemplare ihrer Gattung aus guten Gründen fernbleiben. Tschernobyl ist definitiv so ein Ort. Dort hat jetzt ein Hostel eröffnet. Und kaum hat es eröffnet, ist es schon zu klein. 50 Betten genügen nicht, die Kapazität soll bald verdoppelt werden. Auch eine Kantine gibt es und einen Laden in der eigentlich verlassenen Stadt.

Reisen auf die Schattenseiten der Welt bilden inzwischen eine eigene Marktnische, den sogenannten Dark Tourism. Er führt an Orte des Grauens, an lebensfeindliche, hässliche oder gigantisch öde Stätten. Man kann das mutig finden oder merkwürdig. Sicher ist nur zweierlei: Es gibt weltweit keinen Ort, an dem ein Hostel leer stünde. Und die vermeintlich einander so wesensfremden Abenteurer und All-inclusive-Urlauber sind sich in einem einig: Hauptsache, billig. Die Übernachtung in Tschernobyl kostet sieben Euro, inklusive Dusche und Internet. An welchem Strand gibt es das noch?

© SZ vom 08.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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