Ende der Reise:Unter deutscher Flagge

Lesezeit: 1 min

In Goslar sollen Touristen jetzt Fähnchen in Hundehaufen stecken. Das hilft allen Besuchern, die gern mit Einheimischen in Kontakt kommen.

Von Stefan Fischer

Wir werden es tun. Weil wir nicht heraus können aus unserer Haut. Mögen wir uns in letzter Zeit noch so weltläufig geben, vor allem auf Reisen: In uns steckt dennoch ein Spießer und Blockwart. Und diese vermaledeite Kombination aus Aufgeschlossenheit und Biedersinn werden sich alle von uns Bereisten schamlos zunutze machen. Zu guter Letzt, so werden sie sich denken, mag die Welt doch noch genesen am deutschen Wesen. Sie kriegen uns bei unseren Schwächen, das wird ihre Stärke sein.

Einerseits ist es so aufregend wie opportun, sich anzupassen an lokale Sitten und Gebräuche. Verwandeln wir uns in Touristen, soll man uns das auf keinen Fall ansehen - das ist die eine Schwäche. Unzählige Apps helfen uns dabei, mit Einheimischen in Kontakt zu kommen, bei denen wir übernachten oder essen können, die mit uns bummeln und alternative Sehenswürdigkeiten schauen gehen. Denen wir überdies in unserem Urlaub bei ihrer Arbeit zur Hand gehen, indem wir gegen Geld (das wir bezahlen, nicht sie!) ihre Almwiesen mähen, ihre Trockenmauern wieder aufbauen oder ihre Oliven zu Öl pressen.

Andererseits: Wie es da oft aussieht! Das ist unsere andere Schwäche: dass wir uns richtig wohl nur in unseren getrimmten Vorgärten fühlen. Weshalb wir auch Trockenmauern in fremden Ländern wieder aufrichten. Und Hundehaufen, wenn schon nicht beseitigen, so doch ihre konkrete örtliche Existenz in denunziatorischer Absicht melden.

In Goslar läuft ein Pilotprojekt. Da sollen Kurzurlauber gemeinsam mit den Einheimischen schon einmal für den großen Sommerurlaub üben, wahrscheinlich im Auftrag ausländischer Tourismusämter: Im Bürgerbüro erhalten wir Fähnchen mit der Aufschrift: "Auf frischer Tat ertappt." Die sollen wir in jedes frische Häufchen stecken. Um das Stadtbild zu verschönern, um Falschkacker abzuschrecken, um Ordnung ins Chaos zu bringen. Jedem Haufen sein Aktenzeichen.

Ob Zigarettenkippen am Adria-Strand oder Coffee-to-go-Becher auf den Champs-Elysées: Wir werden Flagge zeigen. Uns solidarisieren mit den von uns Touristen geplagten Einheimischen und damit zum Muster-Barcelonesen unter den Barcelonesen werden, die uns und unseren Müll längst schon leid sind. Wir werden uns gegen uns selbst erheben, unser Hass auf uns Touristen wird neue Dimensionen erreichen. Und endlich wird es rund ums Mittelmeer so sauber sein, wie wir das immer schon fordern. Es geht doch nichts über ein bisschen Weltläufigkeit.

© SZ vom 02.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: