Ende der Reise:77 Gäste pro Krähennest

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Der Kurort Bad Krozingen klagt über finanzielle Einbußen: Angeblich blieben die Touristen fern, weil die schwarzen Vögel massenhaft auftreten. Nun ist es aber stets eine Frage der Perspektive, was man als Plage und was als Segen bezeichnet.

Von Dominik Prantl

Galten die Tauben bislang als Ratten der Lüfte und die Geier als die fliegende Gesundheitspolizei, so muss man die Krähen wohl als die Totengräber des Himmels bezeichnen. Zu dem Schluss kommt jedenfalls, wer Neuigkeiten zu dem Kurort Bad Krozingen überfliegt. Medienberichten zufolge werden dort finanzielle Einbußen wegen der schwarzen Vögel erwartet, denn angeblich blieben durch das massenhafte Auftreten der Tiere Kur- und Feriengäste aus. Bild will Szenen "wie im Film ,Die Vögel'" erkannt haben; in anderen Schlagzeilen ist wegen der inzwischen 1300 Krähennester, dem zunehmenden Lärm und der Verschmutzung durch Kot der Begriff "Krähenplage" zu lesen.

Nun ist es natürlich stets eine Frage der Perspektive, was man als Plage und was als Segen bezeichnet. Manche Bauern aus Botswana zum Beispiel fühlen sich dort eindeutig von Elefanten geplagt. Der Tourist sieht das wahrscheinlich anders. Touristen finden Elefanten gemeinhin super. Dabei ist so ein Elefant mindestens so groß wie 1300 Krähennester, von ihren elefantösen Ausscheidungen und der ständigen Trompeterei ganz zu schweigen. Auch so manche Affenansammlung in Asien gilt inzwischen als Touristenattraktion. Und Robben erst! Wer einmal eine große Seelöwenkolonie besucht hat, weiß, dass die Tiere vor dem Besucherauge nicht nur rücksichtslos auf kleineren Artgenossen herumtrampeln und dabei unanständig grunzen; die Viecher stinken auch noch so gewaltig, dass im Radius von drei Kilometer kein menschliches Leben mehr möglich ist. Krähe nix dagegen.

Es gibt aber auch noch eine andere Perspektive: Bei rund 21 000 Einwohnern in Bad Krozingen kommen auf ein Nest 16 Einwohner. Geht man nun davon aus, dass Bad Krozingen zuletzt ziemlich genau 100 000 Touristenankünfte und etwa 620 000 Übernachtungen pro Jahr verzeichnete, also 77 Touristen und 477 Übernachtungen pro Krähennest, gelangt man unweigerlich zu dem Schluss, dass Bad Krozingen eine ganz andere Plage hat.

© SZ vom 22.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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