Ende der Reise:Eskapaden mit Harry Potter

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Heute spielen wir das Mittelalter romantisch nach. Aber woran werden die Menschen sich in 1000 Jahren erinnern? Eher nicht an uns.

Von Dominik Prantl

Vielleicht sieht die ferne Zukunft ja tatsächlich einmal so aus, dass man sich während des Urlaubs ein FC-Bayern-Gedächtnis-Spiel ansieht. In einem langsam von Gras und Kräutern überwucherten Fußball-Kolosseum gibt es dann sogar wieder Riesenwürschtl in der Semmel zu kaufen, natürlich aus Tofu, weil echtes Fleisch wegen des Krebsrisikos freilich keiner mehr freiwillig isst. Möglicherweise gibt es kein Abseits mehr und keine Menschen in merkwürdigen Jeansjacken auf den Tribünen, die "Schiri, du Drecksau" brüllen. Spätestens wenn sich nach einer vermeintlichen Blutgrätsche ein Laiendarsteller wimmernd im Gras wälzt, werden sich die Zuschauer jedoch sicher fragen, ob sie nicht im falschen Film gelandet sind.

Aus heutiger Sicht ist es freilich kaum vorstellbar, dass die Menschen der Zukunft ausgerechnet ins Jahr 2018 reisen, aus dem die meisten Zeitgenossen doch so händeringend davonlaufen. Der Trend geht sogar zu einer Art mehrfachem Eskapismus: Es reicht nicht mehr, einfach nur Raum und Zeit zu wechseln und beispielsweise das Kaltenberger Ritterturnier oder auch nur das Stierrennen von Pamplona anzusehen. Die Flucht führt zusätzlich immer häufiger in die Filmwelt.

So veranstaltet Irland in diesem Jahr Anfang Mai beispielsweise erstmals ein "Star Wars"-Festival im County Kerry. Dabei kennt "Star Wars" genauso wenig einen echten Ort wie beispielsweise "Der Herr der Ringe" oder "Harry Potter". Alle Geschichten spielen vielmehr in einer weit, weit entfernten Galaxie. Noch immer ist nicht ganz klar, wo der "Star Wars"-Planet Ahch-To, die Zaubereischule Hogwarts oder der Tolkien-Kontinent Mittelerde eigentlich liegen. Sie wurden deshalb von den Tourismusverantwortlichen der Drehorte gewissermaßen adoptiert und in ihren Zuständigkeitsbereich verlegt. Allerdings gibt es auch echt Schlimmeres, als sich freiwillig in ein Klonkriegerkostüm zu zwängen, durch Hobbithöhlen zu kriechen - oder sich mal wieder ein schönes Fußballspiel anzusehen.

© SZ vom 12.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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