Ende der Reise:Einsam in der Menge

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Stau auf der Autobahn? Strand überfüllt? Das wäre vermeidbar und passiert doch jedes Jahr wieder. Vielleicht zeigt es nur eine Art genetisch bedingten Verklumpungsdrang, dem wir uns selbst in den Ferien nicht widersetzen können.

Von Dominik Prantl

Mensch, gerade hat die Kollegin aus dem Nachbarbüro mal wieder geklagt, dass sie den halben Sonntag im Stau verbracht hat. Das ist natürlich hochgradig bedauernswert, echtes Mitleid hat sie aber auf keinen Fall verdient. Offenbart es doch geradezu masochistische Züge, wenn man sich an einem Wochenende Anfang August auf die A8 von München nach Salzburg wagt. Für alle jene, die noch nie etwas von der A8 zwischen München und Salzburg gehört haben: Wer sich dort an einem Wochenende Anfang August über verstopfte Fahrbahnen wundert, denkt sich am Strand des Mittelmeers wahrscheinlich auch: völlig verrückt, lauter Wasser!

Das vermeidbare Im-Stau-Stehen auf unseren Autobahnen lässt tief blicken, weniger in die Seele der Kollegin als die der Menschen im Allgemeinen. Zeigt so manche Blechkolonne doch offenbar eine Art genetisch bedingten Verklumpungsdrang, dem wir uns selbst in der Freizeit beim besten Willen nicht widersetzen können. Wobei wir Deutschen da wieder einmal besonders ambivalent zu Werke gehen. Während es dem Japaner beispielsweise völlig wurscht ist, wenn er lemminggleich durch die Altstadtgassen von Rothenburg fremdkörpert und sich der Amerikaner auf Reisen selbst mit den Landsleuten aus Texas unterhält, als wären es alte Schulfreunde, versuchen wir uns als Weltmeister in Sachen Teilzeitintegration und Herkunftsvertuschung. Dem Einheimischen biedern wir uns mit einem lässigen wie durchschaubaren "Buongiorno!" an, wir greifen mutig zu den gegrillten Heuschrecken - extrascharf - und arbeiten verzweifelt an der Ich-bin-kein-Tourist-Haltung. Irgendwie landen wir dann aber doch immer auf der A8 des Urlaubsalltags, rennen zum Fußball, gucken in den Schwarz-Rot-Gold-Block, setzen uns am Ballermann zu den Kollegen aus Bottrop, treiben die digitale Rudelbildung auf Facebook voran.

Oder ist alles noch viel trauriger, nämlich so wie bei dem Kinderbuch-Zeichner Ali Mitgutsch? Der hat gerade der Welt am Sonntag verraten, dass er als Kind immer alleine war und unter Einsamkeit gelitten habe. Mitgutsch wurde später schließlich mit seinen Wimmelbilderbüchern berühmt. Er sagt, seine Sehnsucht, Teil einer Gesellschaft sein zu wollen, finde man in diesen Bildern. Deshalb werden wir A8-Stau und Strandrummel, diese Wimmelbilder des Urlaubs, nicht mehr als Übel begreifen, sondern als kollektive Selbsttherapie. Leider gehen in der Masse auch die Einsamen unter.

© SZ vom 13.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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