Ende der Reise:Die Intelligenz der Masse

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Ist der Mensch Pionier oder Herdentier? Eher Letzteres. Und das hat ihm im Laufe der Evolution meist genützt. Bis der Massentourismus kam.

Von Hans Gasser

Sind viele Mittouristen ein Reisemangel, für den man einen Teil des in den Urlaub investierten Geldes zurückbekommen kann? Bisher hat sich noch kein Gericht mit dieser Frage beschäftigt, aber das wird angesichts der höchst klagefreudigen deutschen Urlauber wohl nicht mehr lange dauern. Denn jeder spricht jetzt von Overtourism, also einem Zuviel von Gleichgesinnten zur selben Zeit an ein und demselben Ort.

Nun könnte man natürlich sagen: selber schuld. Was fährst du auch nach Mallorca im August, wo es zu dieser Zeit doch am schönen Fluss Ob bei Nowosibirsk herrlich einsame Bademöglichkeiten gibt? Aber das greift zu kurz und vernachlässigt die Tatsache, dass der Mensch halt weniger ein Pionier als ein Herdentier ist. Was ihm rein evolutionsmäßig zumeist von Nutzen war. So dumm und nachteilig es für das einzelne Schaf ist, aus der Herde auszubrechen, wenn der Angriff der Wölfe läuft, so dumm und nachteilig war es meist auch für unsere Vorfahren, einen anderen Weg zu gehen als die Mehrheit. Man muss da nicht gleich an Jesus Christus erinnern.

Der Evolutionspsychologe Benjamin Lange hat das so formuliert: "Was die Masse macht, kann so falsch nicht sein, und wenn die Masse irrt, dann sitzen wir wenigstens alle im selben Boot und können das Problem gemeinsam lösen." Oder gemeinsam untergehen. Auch das erscheint, untermalt vom Schiffspiano, weniger schlimm als ein einsames Absaufen. Und wenn so viele Leute hinfahren, muss irgendwas in Mallorca doch schöner sein als in Nowosibirsk, so die nicht ganz von der Hand zu weisende, herdentypische Schlussfolgerung.

Da fragen sicher jetzt die kritischen Abenteuer-Reisenden: Wo stünde die Welt heute, ohne Menschen, die den Mut zum Querdenken hatten? Klar, wir hätten vermutlich kein Internet, keine Zentralheizung und nicht mal das Christentum. Andererseits wäre der Erde auch viel erspart geblieben, wenn Kolumbus damals das Weltbild seiner Zeit akzeptiert hätte und statt nach Amerika nur von Genua nach Sizilien gesegelt wäre. Die indianische Bevölkerung wäre immer noch auf dem Kontinent verbreitet und würde ihn sicherlich vernünftiger verwalten, als dies der rothäutige, aber sonst blonde Chef im Weißen Haus nun tut. Der wäre heute bestenfalls Bürgermeister eines Dorfs in der Oberpfalz.

Aber es nützt ja nix, denn es kommt, wie es kommt. Und deshalb wird zu Ostern am Gardasee wieder mal kein Terrassenstuhl frei sein, Spanien wird im Sommer wieder aus allen Nähten platzen und vor Weihnachten müssen sie die Krippenstraße in Neapel wieder absperren, damit sich die vielen Menschen darin nicht gegenseitig tottrampeln.

Laut einer Befragung des Unternehmens IPK International hatten 24 Prozent der Touristen 2017 das Gefühl, dass ihr Urlaubsort überfüllt war. Aber nur neun Prozent habe das gestört. Neun Prozent. Das ist eine Minderheit. Also, was soll der Jammer? Auf geht's, Malle buchen. Jetzt!

© SZ vom 08.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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