Eine Tragikomödie:Schöne Ferien

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Wieso fahren wir eigentlich in den Urlaub? Weil wir noch nie aus Schaden klug geworden sind.

Tobias Kniebe

Auch dieser Urlaub, wir spüren es, wird nicht perfekt werden. Obwohl rein äußerlich nichts dagegen spricht. Wir sind eindrucksvoll vorbereitet, wir haben alles gelesen, Kosten und Mühen wurden mal wieder in keiner Weise gescheut. Wir gehören auch nicht zu den Menschen, die schon beim ersten Stau schlechte Laune kriegen und dann für den Rest der Zeit unerträglich sind. Wir glauben und hoffen. Unsere Phantasie eilt uns voraus.

Doch die Erfahrung - und ungefähr eintausend Urlaubsgeschichten von Freunden, die wir in den letzten Wochen um ihre Erlebnisse baten - all das hat uns eine unumstößliche Wahrheit des Lebens gelehrt: Je näher man dem perfekten Urlaub kommt, desto mehr entschwindet er. Manchmal scheint er hinter der nächsten Landzunge zu beginnen, wo der Strand wirklich paradiesisch sein muss. Oder im Hotelzimmer nebenan, wo vor dem Frühstück die Tür kurz offen stand und wir einen Blick erspäht haben, bei dem unser Herz kurz einen Sprung gemacht hat. War dieses Zimmer nicht, obgleich nur nebenan, nicht um Klassen schöner als unseres? Es ist nur so: Wir kommen an dieser Landzunge nie an, und dieses eine Hotelzimmer, das uns wirklich restlos und wunschlos glücklich machen würde, das bekommen wir auch nie.

Was nicht heißen soll, dass es keine Glücksmomente gegeben hat.

Dieser Augenblick zum Beispiel, wo wir die dunklen Vorhänge des Hotelzimmers zum ersten Mal zur Seite zogen und tief unter uns lag, verschachtelt und pittoresk und gleißend schön, die Altstadt von Lissabon. Oder auf Mauritius: unsere erste versunkene, in Stein eingelassene Badewanne, mit Blütenblättern im Badewasser und diesem unglaublich bunten, edelsteinartigen Vogel, der zu unserer Unterhaltung draußen herumhüpfte.

Augenblicke - nicht von Dauer

Oder, wo wir gerade bei Vögeln sind: Dieser Blick auf die Piazza della Repubblica in Rom, goldenes Abendlicht, es ist November, aber sehr warm, und abertausende von Zugvögeln verdunkeln den Himmel und fliegen in aberwitzigen Formationen, um zur Magie des Augenblicks beizutragen. Wir können ohne zu Zögern sagen, dass wir in diesen Momenten glücklich waren, Perfektion gespürt haben - und dass wir das besondere Geschenk dieser Momente, die wir weder bestellen noch bezahlen können, sehr wohl zu schätzen wussten. Nur waren diese Augenblicke irgendwie nicht von Dauer.

Schon der zweite Blick auf die verschachtelte und pittoreske und gleißend schöne Altstadt von Lissabon ist nicht mehr ganz so berauschend wie der erste, und nach dem dritten Tag ist dieser Blick eine Selbstverständlichkeit. Außerdem, wenn wir recht darüber nachdenken, war dieser Blick dadurch leicht getrübt, dass die Frau an unserer Seite ihn schon kannte. Sie war mit ihrer vorherigen Liebe schon einmal dagewesen, und wir wollen jetzt keine eifersüchtigen Miesmacher sein, aber: Hatten die beiden diesen Blick damals genauso rauschhaft erlebt? Oder etwa noch rauschhafter? Mussten sie danach auch unbedingt Sex haben?

Dass einer von uns den Blick schon kannte, war einerseits gut, sonst hätten wir ihn natürlich nie entdeckt - andererseits aber eben auch schlecht. Auf jeden Fall war es nicht perfekt. Mauritius ging dann auch zu Ende, ohne dass wir ein zweites Mal in die Blütenbadewanne gestiegen wären, die Blätter klebten so komisch auf der Haut und, um ganz ehrlich zu sein: Wer will schon ständig baden? Rom wiederum war ein kurzer, heftiger Traum. Und Rom sollte ja nur das Vorspiel für Paris sein, und Paris ging dann leider eher in die Hose. Naja.

Mauritius hatte im Rückblick betrachtet auch die unangenehme Eigenschaft, dass jede nachfolgende, nicht in Stein eingelassene Badewanne ein Rückschritt ist und ein Perfektionsverhinderungskriterium. Die Ansprüche an den vollkommenen Urlaub steigen mit jeder Hotelklasse, die man kennen gelernt hat, sie steigen weitaus schneller als zum Beispiel das Bruttosozialprodukt oder, Gott bewahre, der eigene Kontostand. Die ganzen Superreichen, die wir mit der Zeit so interviewt haben, sie wussten alle, alle, alle eine Tatsache zu berichten: Geld macht nicht glücklich.

Wir geben nicht auf

Denken wir an unsere Urlaubsträume, dann verstehen wir das Problem: Man will immer noch mehr, man wird immer anspruchsvoller, die Fähigkeit zum Genießen nimmt ab. Dennoch geben wir, genau wie die Superreichen auch, natürlich nicht auf.

Auf den Webseiten berühmter Grandhotels fahnden wir und unsere Freunde nach absurden Sonderangeboten, um dann hinterher schreckliche Geschichten auszutauschen: Die gebrauchten Babywindeln im Mülleimer des "Waldhaus" in Sils Maria; das Sperrmüllsofa im "Negresco" in Nizza. Die Alarmanlage im "Dorchester" in London, jede Nacht um drei, dazu die furzenden Russen im Jogginganzug in der Lobby. Und, oh Gott, der fingerdicke, lebende, Brechreiz verursachende Schimmel hinter der Kommode des "Carlton" in Cannes. Wir stellen uns vor, was Madonna in so einem Augenblick tun würde - und trauen es uns dann doch nicht, es ihr gleich zu tun. Man braucht schon tägliche Übung und sehr viel Geld, um wirklich ein richtig toller, weil unerträglicher Superreicher zu sein.

Die Nähe der Reichen und Berühmten ist dennoch - peinlich aber wahr - ein Signal nahender Perfektion geworden. Die unglaubliche Villa an der Meerenge von Gibraltar mit Blick auf Tanger, wo wir durch Beziehungen mal ein paar Tage wohnen durften, sie wurde erst dadurch richtig der Hammer, dass der Regisseur Almodóvar angeblich gleich nebenan wohnte. Das Hotel auf Bali war anscheinend Mick Jaggers Lieblingshotel, zumindest in den siebziger Jahren, das Motel vor den Toren von San Francisco diente Hunter S. Thompson zum Schreiben, in dem heruntergekommen Traditionshaus in Hollywood ging der Geist von Marilyn Monroe um, und so weiter und so fort.

Wenn der pure Augenschein oder der Blick aus dem Fenster das Glück nicht mehr garantieren können, dann muss es eben ein Hauch von Glamour, von Geschichte und vom Flair der großen Geister sein, die hier einmal - ja, was eigentlich? Zum Beispiel die Toilette benutzt haben. Drei Freunde mit Hang zum Morbiden haben schon begeistert von ihrer Nacht in jenem verwunschenen Hotel erzählt, in dem Oscar Wilde einst Selbstmord beging. Es waren allerdings drei verschiedene Hotels.

Die vergebliche Suche nach dem perfekten Urlaub, ist sie am Ende nur ein Phänomen der Übersättigung, des Älterwerdens, der Spießigkeit? Oh nein! Es befällt schon die Jungen, die angeblich Anspruchslosen, die Unerschrockenen, die jeder Kakerlake noch freudig "Guten Tag" sagen. Ein Wort nur: Interrail. Man könnte diese Art des Reisens auch das "Eigentlich-doch-nicht-so-schön-hier"-Ticket nennen.

Ein ausgelaugtes Klischee

Man fährt zum ersten Mal in Paris ein, der Stadt der Liebe, der Bahnhof ist schon grauenvoll, die Leute nun sind auch noch erschreckend unfreundlich, der erste Gedanke: Flucht! Ein paar Tage und viele labbrige Croissants später ist es soweit, Paris ist abgehakt, es lockt die nächste historische Altstadt, flirrende Metropole, südländische Piazza. So geht es immer wieder, das Glück scheint stets nur eine Nachtfahrt entfernt, das Ticket ermöglicht es, ihm endlos hinterherzureisen, den ganzen Sommer lang.

Bis man eines Nachts auf dem Gang aufwacht, der Schlafsack hat sich mit französischer Soldatenpisse vollgesogen, und die Traumfrau aus dem Französisch-Leistungskurs will endlich reden und erklärt, sie habe sich das alles romantischer vorgestellt, vor allem aber den Begleiter selbst. Nach der Rückkehr erzählt man, das wahre Glück sei es gewesen, an der Hafenmole von Portofino billigen Rotwein zu trinken, da nicken alle, das leuchtet ein. Die Wahrheit aber ist, dass man diesen Spruch selbst schon tausendmal gehört hat, man kann jede beliebige Hafenmole in diesen Spruch einsetzen, er bleibt ein ausgelaugtes Klischee.

Oder noch davor, der große, wildromantische Camping-Urlaub mit der ersten Freundin. Es soll ja Menschen geben, bei denen es dann tatsächlich ein großer, wildromantischer Camping-Urlaub geworden ist. Wir kennen aber keinen. Wir hören eher Geschichten wie diese, die mit dem Motorroller durch Frankreich und Monte Carlo führt und in Sizilien endet, und die ganze Zeit über ist die sehr blonde und auch sehr erotische Freundin dermaßen im Fokus irgendwelcher Südländer, dass man als ihr Freund eigentlich keine ruhige Minute haben kann.

In Sizilien ist es dann soweit: die langhaarigen Schönlinge vom Nebenzelt schmieden einen grausamen Plan und laden dich in sengender Hitze zum Fußballspielen ein. Sie spielen dich schwindlig. Heftiger Sonnenstich setzt ein. Zum Schluss kriegst du einen 35-Meter-Freistoß ins Gesicht. Es dauert drei schreckliche Tage, bis du das Zelt wieder verlassen kannst. In dieser Zeit muss deine Freundin natürlich irgendetwas allein unternehmen.

Am Ende dieser drei Tage eröffnet sie dir, sie werde jetzt mit Emanuele nach Neapel weiterfahren, was danach komme, das könne man in Ruhe zu Hause in Köln besprechen. Vielleicht, denkt man da, ist das Streben nach dem perfekten Urlaub nicht angeboren. Vielleicht ist es erst der Schock nach dem Ende der verklärten Kindheitsferien, das Geworfensein des jungen Menschen in die gnadenlose Welt des Reisens, die diese unstillbare Sehnsucht in uns erzeugt.

Ein unlösbares Beziehungsdilemma

Den fragilen und flüchtigen Momenten des Glücks stehen handfeste, unaufhaltsame und unausweichliche Qualen gegenüber, wenn ein Urlaub sich erst einmal in die falsche Richtung entwickelt. Dann geht alles schief, ein unlösbares Beziehungsdilemma türmt sich auf das andere. Unternimmt man nichts, ist man für den anderen ein Stimmungskiller und Langweiler. Unternimmt man doch etwas, kann man sich nicht entspannen und die Ruhe nicht genießen.

Versucht man sich beispielsweise im ClubMed sportlich zu bewähren und gewinnt das Fußballturnier, ist man ein Egoist, der nur den eigenen Spaß im Auge hat. Wird man dagegen bei den abendlichen Surfboard-Ritterspielen im Fackelschein nach einer Minute ins Wasser geworfen, ist man ein Loser, mit dem keiner Urlaub machen möchte.

Warum tun wir uns das an?

Der Vorsatz, sich am Strand vollständig auf den neuen Dan Brown zu konzentrieren, führt sofort zum Vorwurf des Autismus. Schaut man dagegen aufmerksam und ja, aufgeschlossen in die Welt hinaus, kommt unweigerlich der Satz: "Stehst du auf die, oder was guckst du da so hin?" Diese sehr böse Frage bezieht sich grundsätzlich auf einen weiblichen Körper in der Nähe, der noch am ehesten gängigen Schönheitsidealen entspricht, und sie ist sehr relativ und völlig unabhängig von der tatsächlichen Blickrichtung. Ist die Stimmung dann völlig am Boden, greift zu allem Überfluss das so genannte "Petermännchen-Prinzip": Man tritt auf ein im Sand verstecktes, arglistiges und auf jeden Fall hochgiftiges Stacheltier.

Warum aber, wenn wir all dies wissen, selbst schon erlebt oder von Freunden gehört haben, warum tun wir uns dieses grausame Urlaubsding dann überhaupt noch an?

Das ist die große, unlösbare Frage! Der Mensch hat eine unglaubliche Fähigkeit, aus Erfahrungen nichts zu lernen. Außerdem hat er die Fähigkeit zum Träumen, zumindest dann, wenn die Träume von einem Ort handeln, an dem er gerade nicht ist, und von einem Menschen, der gerade nicht im Liegestuhl nebenan vor sich hingrillt.

Kaum sind wir wieder zu Hause angekommen, setzen die Träume auch wieder ein, lesen wir von dieser Lodge in Belize, die Francis Ford Coppola gehört, oder wir schlagen einen dieser Reiseberichte auf, wo der Pool auf dem Foto nahtlos in den Himmel übergeht: "Infinite Edge" nennt man das, das wissen wir inzwischen auch.

Sofort ist da dieses Pochen, dieses Nagen im Hirn, die Sehnsucht, die uns keine Ruhe lässt. Selbst der Film "Tod in Venedig", dessen Titel wirklich nicht verschweigt, wie grausam ein Urlaub enden kann, selbst dieser Film facht unser Fernweh an. Einmal nur wie Gustav Aschenbach am Hotelfenster stehen, auf die Strandkörbe blicken, das Treiben der Menschen, die sinkende Sonne, ach . . .

Aber selbst dieser Blick: eine Lüge! Aus dem "Hotel des Bains" auf dem Lido di Venezia, wo der Film gedreht wurde, kann man nicht aufs Meer schauen. In Wirklichkeit sieht man dort Bäume, die das Meer verdecken. Und dann ist da noch eine Straße, auf der sehr, sehr laut Motorroller um die Wette knattern.

© SZ vom 29.7. - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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