E-Mail aus Brasilien, 5. Brief:Der Urwald lebt

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Christine Wollowski

Itamaracá, 18. Oktober 2001

Gewonnen! Bis auf Weiteres ... (Foto: N/A)

Seit die Petersilie tot ist, habe ich meine Pflanz-Aktivitäten auf den restlichen Garten verlegt. Alles, außer Petersilie, wächst hier nämlich hervorragend. Kein Wunder - bei durchschnittlich 30 Grad Celsius, täglicher Sonne und rund 90 Prozent Luftfeuchtigkeit. Bessere Bedingungen gibt es im Treibhaus auch nicht. Bananen habe ich schon geeerntet, der Mangobaum wächst fleißig, ebenso die beiden Papayabäume.

Entsprechend optimistisch stapfe ich durch die Gegend, immer auf der Suche nach weiteren Gartenpflanzen. Breche mir mehrere Fingernägel ab bei dem Versuch, winzige Schößlinge von Dendê-Palmen aus dem steinharten Boden zu graben. Über der Erde sind die Dinger kaum zehn Zentimeter hoch, unter der Erde krallen sie sich mit halbmeterlangen Wurzeln in die Tiefe. Zwei kann ich dem Wald entringen. Außerdem zwei leuchtend orange blühende Orchideen.

Kaum wohnen sie 24 Stunden in meinem Garten, lassen alle meine Findlinge die Blätter hängen. Verfärben sich von knallgrün zu staubgrau. Stattdessen schleichen sich mal wieder die feindlichen Schlingpflanzen von hinten durch den Zaun.

Hinter meinem Garten beginnt der Urwald. Mit meterhohen, ledrig-bambusartigen Gewächsen namens "Aningas", die von reißfesten Schlingpflanzen überwuchert werden. Darin hausen: zwei Chamäleons, zig Oppossums, mehrere Krötenfamilien und massenweise Vögel. Schön.

Nicht so schön ist, dass dem Urwald mein Zaun egal ist. Die Schlingpflanzen bemühen sich erfolgreich, ihn vollständig verschwinden zu lassen. Sumpfgras wuchert darunter durch und droht, meine Pflanzungen zu ersticken. Wo ich Stunden hacke, um den von der Sonne festgebackenen Lehmboden aufzulockern, bohren diese Aningas mühelos ihre Köpfe aus der Erde.

Ich erkläre dem Urwald den Krieg. Engagiere einen kräftigen Killer mit einer scharfen Machete. Der köpft gnadenlos alle Aningas innerhalb des Zauns. Kappt die Wurzeln der Schlingpflanzen, hackt dem Wuchergras die Wurzeln aus der Erde. Und schlägt eine meterbreite Sicherheitszone hinter dem Zaun frei.

Zufrieden schreite ich durch meine gepflegten 400 Quadratmeter Garten. Als ich meine graugelben Pälmchen und Orchideen gerade ausrupfen will, sehe ich: Mitten im Grau wächst ein neuer Palmwedel! Und neben der verkümmerten Orchidee bahnt sich ein Ableger den Weg durch den Lehm. Nächstes Erfolgserlebnis: Die glibbrigen Kerne der Passionsfrüchte, die ich seit Wochen an den Zaun kippe, haben sich zu gesunden kleinen Pflänzchen entwickelt.

Geht doch! Bis auf Weiteres rufe ich einen Waffenstillstand aus. Auch wenn das Sumpfgras schon wieder in die Sicherheitszone vorgedrungen ist. Noch bleibt es hinter meinem Zaun. Wenn ich Glück habe, einen ganzen Monat lang.

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