Dem bayerischen Papst auf der Spur:Im heiligen Land

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In diesem Zimmer hat er gebetet, in jener Sitzgruppe hat er gesessen: Von München bis Altötting profitiert der Tourismus von Benedikt XVI.

Von Martin Zips

Wir sind Papst. Wir lesen ein Ratzinger-Buch nach dem anderen. Wir trinken Papst-Bier und schmusen mit Papst-Teddybären. Wir steigern beim Papst-Golf mit und freuen uns auf den Weltjugendtag. Jetzt, da Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI. wurde, geht es aufwärts. Mit uns. Mit dem Land.

Das Geburtshaus von Papst Benedikt XVI. in Marktl ist zu einem Touristenmagnet geworden. (Foto: Foto: Reuters)

Logisch, dass sich die Menschen dieser Tage auf den Weg machen. Dass sie Spuren von Ratzinger in München, Traunstein, Marktl und Regensburg finden möchten.

Lange genug hat es gedauert, bis die ersten Benedikt-Fahrradwegkarten gedruckt, die ersten Ratzinger-Kerzen beklebt waren und alle Fremdenführer fest im Glauben standen.

Ein alter Bekannter

Wochenlang hat die Bayern Tourismus GmbH eine Journalistenreise an die Orte "des bayerischen Papstes" organisiert. Nun irren Pressevertreter durch Traunstein. "Hier! Dieser Mann kennt Ratzinger persönlich", ruft eine Reporterin, die mit einem schwarz gekleideten Herrn gerade aus dem Hotellift steigt.

"Er besuchte mit ihm die Schule. Sagen Sie, wie war der Papst denn so?" "Ich sage nichts", sagt der Mann. "Und was machen sie hier in Traunstein?", fragt die Reporterin. "Ich sage nichts", sagt der Mann noch einmal. Später sieht man ihn, wie er einen Kranz mit Trauerflor aus seinem Auto holt. Die Reise auf den Spuren von Papst Benedikt treibt zuweilen skurrile Blüten.

In München führt der Weg von der Augustiner-Bierhalle ("Meine Damen und Herren, sie wissen ja, dass Ratzinger seine Doktorarbeit über den heiligen Augustinus geschrieben hat") zum Karl-Valentin-Brunnen auf dem Viktualienmarkt ("Wir wissen eigentlich immer noch nicht, warum Ratzinger den Karl-Valentin-Orden erhalten hat").

"Die oberen Räume sind privat!"

Vor dem Sitz des jetzigen Münchner Erzbischofs klingelt bei einer Dame von der Bayern Tourismus GmbH das Handy. "Ich habe gerade erfahren, dass Kardinal Wetter das Palais verlassen wird."

Flügeltüren öffnen sich für den Bischof von München und Freising. Er fährt im schwarzen BMW vorbei. Die 24-köpfige Reisegruppe stürzt in den Innenhof. "Nein, die oberen Räume sind privat", ruft der Pförtner. Also werden die Geranienkästen auf den Fensterbänken des Palais fotografiert, ein Fahrrad, ein Verkehrskegel und ein Regenschirm.

Wieder draußen, erzählt der eloquente Stadtführer Georg Reichlmayr sehr viel über Rupert Mayer, über Kardinal Faulhaber und den Münchner Dom. Mit exklusiven Details aus dem Leben Ratzingers, der von 1977 bis 1982 in München Bischof war, tut sich der seriöse Gästeführer eher schwer.

Auf dem Freisinger Domberg, den Ratzinger erst als Student, dann als Dozent, dann als Professor, Priester und Bischof erklomm, wird der Gruppe, zu der auch Vertreter der italienischen und nordamerikanischen Öffentlichkeit gehören, der nette Prälat Sigmund Benker vorgestellt.

Herr Benker ist Leiter der Dombibliothek und traf "den großen Gelehrten" persönlich. Der kräftige Mann mit der dicken Brille sagt, er sei "nur acht Monate jünger als Ratzinger".

Freundlich distanziert

Natürlich kennt Benker viele interessante Episoden aus dem Leben des heutigen Papstes. Und doch behält er sie für sich. Immerhin erfahren die Reporter, dass Ratzinger recht verzweifelt gewesen sein soll, als er seine Habilitationsschrift "mit roten Anmerkungen übersät" einst vom Professor zurückerhielt.

Der junge Theologe habe gefürchtet, aus seinem Traum von einer universitären Karriere könne nun doch nichts werden. Entmutigt erkundigte sich Ratzinger nach einer Kaplanstelle in der Freisinger Stadtpfarrkirche. Aber es kam anders. Und sonst? Wie war Ratzinger so als Mensch? "Liebenswürdig, freundlich aber auch immer distanziert. Etwas Besonderes halt."

Liebenswürdig, freundlich, distanziert - so sprechen die Menschen überall von ihm. Wenn sie denn sprechen. Es herrscht eine merkwürdige Unsicherheit darüber, ob man die persönliche Beziehung zum Oberhaupt der katholischen Kirche überhaupt in irgendeiner Form verkünden oder gar vermarkten können dürfen sollen müsste.

Zumindest die Ordensschwester, die Benedikt XVI., als er noch Kardinal Ratzinger war, im Januar im Studienseminar Traunstein ganz privat fotografierte, sah das alles etwas lockerer. "Sie verkaufte das Foto gleich nach der Wahl an die Presse und finanzierte sich so ihre neue Digitalkamera", erzählt Thomas Frauenlob, Leiter des Traunsteiner Studienseminars St.Michael.

Dem Begehr der Pilger ausgesetzt

Ratzinger machte hier, wo er mit seinem Bruder als Internatsschüler wohnte, noch jahrelang bis zu drei Mal jährlich Urlaub. Doch nun, da er Papst geworden ist, rechnet man hier nicht mehr mit ihm. "Leider muß ich in der Tat fürchten, daß die Besuche in Traunstein nicht mehr möglich sein werden", schrieb Papst Benedikt XVI. am 11. Juni 2005 an Herrn Direktor Frauenlob.

Dann sollen die Journalisten das Zimmer, in dem Ratzinger zuletzt bei seinen Besuchen wohnte, besichtigen. Seit der Papstwahl sieht sich Frauenlob ständig diesem - meist von Pilgergruppen geäußerten - Begehr ausgesetzt. Kein Problem, sagt er.

Das also ist der Sekretär, das ist eine grüne Messinglampe, das ist eine kleine Sitzgruppe und das ist das Gemälde mit dem Heiligen Lantpert. Nein, in dieses Zimmer bitte nicht, sagt Frauenlob, denn das ist das Schlafzimmer und das ist privat.

n der Pfarrkirche St. Oswald, wo Joseph und Georg Ratzinger einst ihre Primiz feierten, bleibt sodann für Gebete und Einkehr keine Zeit. Denn schon fährt der Bus durch den Ortsteil Hufschlag im benachbarten Surberg, wo die Familie Ratzinger nach Marktl, Tittmoning und Aschau einige Jahre lebte.

Stark renovierungsbedürftig

Das Haus steht noch heute - und am Vortag hatte es hier sogar ein kleines Volksfest mit Ratzingers Bruder Georg gegeben, der hinter einem Gartenzaun mit der Aufschrift "Vorsicht, bissiger Hund!" eine Gedenktafel enthüllen durfte. Und das mitten in einem Wohngebiet, wo immer mehr Touristen aus aller Herren Ländern auftauchen.

"Der Besitzer wollte das Gebäude eigentlich abreißen lassen", sagt ein Anwohner. "Dazu dürfte es nun nicht mehr kommen." Der unbewohnte, sehr einfache und stark renovierungsbedürftige Giebelbau im Salzburger Stil ist aus Hufschlag nämlich nicht mehr wegzudenken.

Das meint auch der Bürgermeister und zieht eine 24-seitige, sehr professionell gefertigte Broschüre über die Verbindungen von Traunstein, Surberg und Papst Benedikt hervor. "Devotionalien", sagt er, "lehnen wir aber ab".

In Altötting gibt es eine überraschende Begegnung an der Hotelrezeption. Bei dem Portier am Schlüsselbrett handelt es sich nämlich um den ehemaligen bayerischen Finanzminister und Strauß-Intimus Gerold Tandler, der gemeinsam mit seiner Frau am örtlichen Kapellplatz das "Hotel zur Post" am Laufen hält.

Nein, die Politik fehle ihm wirklich nicht, sagt der bald 70-jährige später und erzählt gemeinsam mit dem Altöttinger Bürgermeister Herbert Hofauer, wie es ihm gelungen sei, am Tag der Amtseinführung des neuen Papstes in den Vatikan vorgelassen zu werden.

Hofauer schätzte bis zu diesem Ereignis eine Nachbildung der Altöttinger Mutter Gottes sein Eigen, die er unweit seines heimischen Esstisches aufgestellt hatte. "Als jedoch klar war, dass der Ratzinger Papst wird, beschloss unser Familienrat, ihm die Madonna zu schenken."

Schmecken die Altöttinger Weißwürste noch?

Tandler wurde eingeschaltet, der über Ratzingers Bruder die Übergabe der Statue in die Hände von Schweizer Gardisten einfädeln sollte. In Rom angekommen, ließen die Wächter Tandler und Hofauer sogar zum Heiligen Vater vor. Er habe sich danach erkundigt, ob die Weißwürste in Altötting immer noch so gut schmeckten, erzählt Tandler erfreut.

Der über die Amigo-Affäre gestürzte frühere CSU-Fraktionsvorsitzende im bayerischen Landtag sowie Bürgermeister Hofauer sind mächtig stolz auf diese Geschichte. "Wir haben uns noch überlegt, ob wir nicht noch im Vatikan tanken sollten. Schließlich ist das Benzin dort steuerfrei."

Überhaupt geht man in Altötting mit dem Thema Papstwahl überaus professionell um. "Für uns ist das alles kein Problem", meint der örtliche Tourismusbeauftragte Herbert Bauer. "Altötting blickt auf eine jahrhundertealte Tradition als Wallfahrtsort zurück. Da kann schon noch der ein oder andere zusätzliche Gast kommen."

Benedikt-Guckkasten

Rund um die Kapelle, die nach diversen Wundergeschichten täglich von Hunderten Pilgern bestürmt wird, finden sich unzählige Läden mit Papst-Souvenirs. 5,50 Euro kostet der Benedikt-Guckkasten und noch teurer ist das Benedikt-T-Shirt.

"Schon als Kind nahm Joseph Ratzinger gemeinsam mit seinem Vater an einer jährlichen Fußwallfahrt nach Altötting teil", sagt Tourismusfachmann Bauer. "Deshalb fühlt er sich auch heute sehr stark mit unserem Ort verbunden."

Da ist es nur konsequent, dass der im August vom Münchner Kardinal Wetter einzuweihende und gut 250 Kilometer umfassende Benedikt-Fahrrad-Rundweg auch und gerade durch Altötting führen wird. Hier soll die Familie Ratzinger einmal am Rande einer Pilgerreise eine Nudelsuppe eingenommen haben.

Der Altöttinger Kapuzinerpater Marinus berichtet, dass bei diesem Mittagessen eine hysterische Biene dem späteren Papst in die Lippe gestochen habe, was wohl für größere Unruhe am Tisch sorgte.

"Vermarktler" im "Media-Marktl"

Eine noch größere Unruhe habe es freilich am 25. April 1782 gegeben, als Papst Pius VI. auf seiner Reise nach Wien einen kurzen Halt am Kapellplatz machte: "Bei eröffneter Kutsche küsste der Landesherr dem Papste die Hand", notierte damals der Ortschronist, "höchstselbiger aber stieg aus dem Reisewagen, umfing den Churfürsten mit beiden Armen und solch heiliger Zärtlichkeit, daß dem gnädigen Churfürsten die Zähren über die Wangen herabrollten und alle Zuschauer in Thränen zerflossen." Ähnliches könnte sich ereignen, wenn Benedikt XVI. zu Besuch nach Bayern kommt.

Dann würde der Heilige Vater bestimmt auch in Marktl vorbeischauen, was ja ganz in der Nähe von Altötting liegt und wo das Geburtshaus Ratzingers noch immer steht.

Weil die Marktler die Ersten waren, die Papst-Bier, Papst-Brezn und sonstigen Krimskrams im Angebot hatten, wurden sie bereits vielfach gegeißelt. Von "Vermarktlern" ist ebenso die Rede, wie von "Media-Marktl".

Aber das ist ungerecht, schließlich muss man ja schauen, wie man mit dem Auftrag, über Nacht eine Altötting-Dependance geworden zu sein, professionell umgeht. Besonders bei einer aktuellen Pro-Kopf-Verschuldung von 1200 Euro.

Sofort verkaufen

Die alleinerziehende Mutter, die vor einigen Jahren das ehemalige Anwesen des Gendarmen Ratzinger, Vater des Papstes, erworben hat, freut sich schon auf ihren Auszug. Sie fühlt sich durch die Touristen, die permanent die Nasen an ihre Fensterscheibe pressen, gestört und will gegen Höchstgebot verkaufen.

"Wir sind uns sicher, dass der Ansturm, den Marktl derzeit erlebt, von Dauer sein wird", sagt SPD-Bürgermeister Hubert Gschwendtner, der aus dem Gebäude ein museales Begegnungszentrum machen möchte. "Seit der Papstwahl haben bereits 30.000 Touristen Marktl besucht." Gerade war wieder ein Fernsehteam da. Aus Mexiko.

Die Touristen sollen also ruhig nach Bayern kommen. Und diesmal dürfen sie nicht nur Neuschwanstein besuchen, München und Rothenburg. Sie sollen auch in Traunstein, Hufschlag und Altötting vorbeischauen. Erste Gruppen aus Kanada, Italien und den USA haben das volle Ratzinger-Programm bereits gebucht.

Und natürlich sollte niemand Pentling vergessen, wo Ratzingers letztes Eigentumshaus steht. Mitten in einem engen Wohnviertel, wo die Busse nicht leicht hingelangen. Aber auch daran kann man ja arbeiten.

© SZ vom 19.7.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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