Cuba: Santeria (SZ):Unser Manna in Havanna

Lesezeit: 5 min

In Cuba konkurriert die Santeria mit der Staatsideologie: Nun entdecken auch Tourismus-Manager, Musiker und Künstler die Zugkraft der afrocubanischen Religion.

Jonathan Fischer

(SZ vom 31.07.2001) - Auch Ariel trägt die Perlenschnüre um den Hals. Rot-Weiß für Changó, den Hüter des Feuers und des Donners, Gott der Krieger und Trommler. Früher prangte auf Ariels Brust "Def Jam", der Schriftzug eines amerikanischen Rap-Labels. Leider hatte das Logo die falsche Farbe.

St. Lazarus ist der Schutzpatron der afrocubanischen Religion Santeria. In El Rincon, etwa 30 Kilometer von Havanna entfernt, treffen sich jedes Jahr die Pilger um diesen Heiligen zu ehren. (Foto: sonstige)

Zur Begrüßung entbietet der 26-jährige HipHop-Fan die geschlossene Faust. "Tut mir leid, ich darf euch leider nicht die Hand geben." Ariel ist ganz in Weiß gekleidet - von den Turnschuhen bis zum seitenverkehrten Baseballkäppi. Mit Hitzeschutz hat dieser Aufzug allerdings so wenig zu tun wie die geschlossene Faust mit den lässigen Gesten aus den auch auf Cuba konsumierten MTV-Clips.

Er sei gerade, so Ariel, auf dem Weg zu einer höheren Initiations-Stufe. Deshalb habe ihn sein Padrino - sein religiöser Pate - zu einem Reinigungs-Ritual verpflichtet: Täglich die Kleider wechseln, niemanden mit offenen Handflächen begrüßen, sich sexueller Aktivitäten und allzu lockerer Redensarten enthalten.

"Meine Freundin", lacht Ariel, "hat mich deswegen schon verlassen. Sie hatte es satt, dauernd meine T-Shirts zu waschen." Seine Eltern dagegen, beide Atheisten und Mitglieder der kommunistischen Partei, würden ihn bei der Initiations-Zeremonie unterstützen. "Früher hatte ich keine Ahnung, wo es langgehen soll, bin wegen einer Ordnungswidrigkeit sogar im Gefängnis gelandet. Vor drei Jahren hat mich dann meine Großtante zu ihrem Santeria-Priester mitgenommen."

Träume vom besseren Leben

Nicht, dass sich seitdem die Träume des jungen Journalisten von einem besseren Leben erfüllt hätten. Immer noch schimpft Ariel über die Polizisten, die überall in den Touristenbezirken Havannas seinen Ausweis kontrollieren, die Zeitungsredakteure, die ihm nicht mal die Filme für die Fotos zu seinen Artikeln zahlen, die Gesetze, die es ihm verwehren, ein eigenes Unternehmen zu gründen. Doch zumindest hat sein Leben nun eine Gewissheit: Changó, sein Orisha, sorgt für ihn. Ariel füllt im Gegenzug jede Woche etwas Tabak oder Rum in die Schälchen in seiner Zimmerecke. Und wenn alle Stricke reißen, sucht er seinen Padrino zum Orakellegen auf - so wie die meisten Cubaner: "Sie nennen sich Kommunisten oder Christen, sind weiß, schwarz, reich oder arm. Aber egal: Wenn sie Liebeskummer haben oder das Geschäft nicht läuft, dann wird der Santeria-Priester gefragt."

Wer mit wachen Augen durch Havanna schlendert, begegnet den Yoruba-Göttern auf Schritt und Tritt: An Hauseingängen stehen mit Kaurimuscheln verzierte Lehmköpfe. Sie sind Elegguá geweiht, dem Hüter der Wegkreuzungen. Türschwellen werden den Orishas zuliebe mit Wasser genetzt. In Wohnzimmerecken gruppieren sich Opferschälchen um katholische Heiligenfiguren. Und so manches Haushaltswaren-Geschäft in der Altstadt verkauft neben Bratpfannen und Topfputzern auch religiöses Zubehör: Soperas genannte Opferbehälter aus Porzellan oder Holz, blecherne Männer-, Frauen- und Tierschablonen oder Stühlchen, auf denen zwei Puppen rücklings aneinander gefesselt sind. Am besten verkaufen sich die bunten Perlenketten: Weiß für Obatalá, blau für Yemayá, gelb für Oshún, rot-schwarz für Elegguá oder rot-weiß für Changó.

"Soll ich dir eine als Halsschmuck kaufen?" Ariel tauscht amüsierte Blicke mit dem Verkäufer. Jeder Tourist dürfe sich die Kettchen umhängen. Ashé, die heilige Lebenskraft der Orishas, erlangten sie allerdings erst durch die Weihe eines Santeria-Priesters. Ob man sich heute abend beim Tambor treffe? Nein, mit einer Hip-Hop-Jam habe das nichts zu tun, aber die Ursprünge des Rap entstammten den dort gesungenen Rumba-Chants.

Hausruinen in Alt-Havanna

Inmitten der Hausruinen Alt-Havannas ein von Palmen bestandener Innenhof: Die gleichen Schuttberge wie überall, die gleichen Rikscha-Ensembles, der gleiche Geruch nach Salzluft und frischer Wäsche. Ein paar Hühner scharren zwischen dem Unkraut nach Futter. Ob der cubanische Begleiter sich nicht in der Adresse geirrt hat? Aus einer Wellblechhütte hämmern House-Rhythmen. Ein alter Mann schiebt seinen Kopf aus dem Türrahmen ins grelle Sonnenlicht. "Companeros, ihr dürft ruhig eintreten!"

Nachdem sich die Augen an das Halbdunkel gewöhnt haben, lässt sich in der Zimmerecke ein Dutzend übereinandergetürmter Puppen ausmachen. Dass es sich bei den in bunte Stoffe gekleideten Figuren um kein Spielzeug handelt, begreifen selbst ahnungslose Besucher auf Anhieb. Am Boden davor reihen sich Papayas, Mangos, Bananen, Kokosnüsse, Zuckertorten und Gebäck: Nahrung für die von den Puppen verkörperten Ahnen. Unter heftigem Maraca-Gerassel vollführen die Neuankömmlinge vor dem Altar ihre Begrüßungszeremonie. "Der Lärm soll die Orishas wecken", erklärt die Madrina, eine alte Dame mit Wickelturban.

Im Nebenraum bereiten ein Dutzend Männer und Frauen ein Festmahl aus Reis und Huhn; Rumflaschen kreisen. Später werden sie die House-Cassette aus dem Rekorder nehmen und die als Zeichen ihrer Göttlichkeit mit dem Blut der geschlachteten Hühner bespritzten Batá-Trommeln aus dem Schreinraum holen: "Yéyé caré, yéyé caré..."

Jeder initiierte Santeria-Gläubige kann bei sich daheim Familie, Freunde und Bekannte zu rituellen Tänzen, Trommeln und Trunk laden. Und den Beistand der mal eifersüchtigen, mal beleidigten oder auch schnippischen Schicksalswalter erflehen.

Viele Geschichten über die Orishas unterstellen diesen höchst menschliche Stärken und Schwächen, was den Gläubigen zumindest die Gewissheit gibt, mit ihren Lastern und Begierden nicht gleich aus der göttlichen Ordnung zu fallen.

Weder die katholische Kirche noch die kommunistische Partei konnten bislang ernsthaft an dieser Tradition kratzen: Die aus dem heutigen Nigeria nach Cuba verschleppten Lucumi-Sklaven ordneten ihren Yoruba-Göttern einst - sei es aus Gründen der Camouflage, sei es aus überbordender Kreativität - katholische Heilige als Doppelgänger zu. Changó, Hüter des Feuers und des Donners, wird seitdem von Santa Barbara repräsentiert, der wunderheilende Babalú-Ayé vom Heiligen Lazarus und Ogún vom Heiligen Petrus. Dazu tauften die Lucumi, undogmatisch wie die eigenen Götter, ihre Religion auch noch "Santeria". Eine Anspielung auf die katholischen Reserve-Heiligen.

Die Regla de Ocha gilt heute in Cuba als weitaus populärste afrocubanische Glaubensrichtung. Selbst Fidel Castro hat das scheinbar akzeptiert: "Socialismo o muerte" mögen die Banderolen an den Parteigebäuden verkünden. Doch geschätzte 80 Prozent aller Cubaner können sich dann wohl doch nicht irren.

Jedenfalls revidierte Anfang der 90er Jahre die cubanische KP ihre feindse- lige Haltung gegenüber dem unsozialistischen "Aberglauben" und ermöglichte den Anhängern erstmals den Beitritt.

Kürzlich ermutigte Castro cubanische Künstler und Musiker, sich der Santeria-Tradition zu bemächtigen. Eine Welle öffentlicher Santeria-Bekenntnisse war die Folge: Pötzlich gehört es zum Pflichtprogramm jedes cubanischen Schlagersängers, mindestens eines seiner Lieder einem Orisha zu weihen. "Que Viva Changó" tönt es stündlich aus dem staatlichen Radio. Wenn es nach Castro ginge, könnte die afrocubanische Religion eine Quelle des nationalen Stolzes im Kampf gegen den US-Imperialismus sein.

Im Stadtteil Lawton klopft Ariel an eine Villa, die nicht nur für cubanische Verhältnisse in ungewöhnlich gepflegtem Zustand erscheint. Nach lautem Klatschen öffnet sich ein Fenster im zweiten Stock, und ein verschlafenes Gesicht mustert die Besucher. "Ich will dir einen Freund vorstellen." Ariels Padrino lässt aus dem zweiten Stock an einer Schnur den Schlüssel zur Eingangstür herab. Offensichtlich ist er es gewohnt, zu jeder Tages- und Nachtzeit Besuch zu empfangen.

"Kein Problem, meine Schicht fängt erst in drei Stunden an." Hauptberuflich arbeitet Señor Hernandez als Koch in Havannas Nobelhotel "Nacional". Ob er denn Religion und Küche immer strikt auseinanderhalten könne? Der weißhaarige Alte lacht. In einem Wohnzimmerregal reihen sich zwei Dutzend in weißen Tüll gewickelte Puppen. An den Wänden prangen katholische Heiligenbilder.

Wer bei ihm die Initiation suche, so der Padrino, müsse zuallererst christlich getauft sein. "Auch unser Weihwasser stammt aus den Kirchen, viele Feste feiern wir zusammen mit den Katholiken." Nur missionieren müsse er niemanden. "Die Leute kommen von alleine, wenn sie Probleme haben." Dann könne er aus den Orakeln Zeichen herauslesen. Diesen sei jeweils eine Geschichte zugeordnet, die eine mögliche Lösung des Problems enthalte. Ob er sich für einen Psychologen halte? Nein, mit den herkömmlichen Wissenschaften solle man ihn verschonen. Er könne durch Zwiesprache mit den Verstorbenen feststellen, ob ein Fluch Ursache des Unglücks sei und in einer Ahnenbefragung den Urheber ausfindig machen. Natürlich, räumt er ein, gebe es auch schwarze Magie. Aber damit wolle er nichts zu schaffen haben.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: