Brauchtum paradox:Krampus im T-Shirt

Im österreichischen Schladming wird der Winter ausgetrieben. Dabei war der noch gar nicht da.

Sabine Hölper

Rudi Bauer stöhnt über die Plusgrade. Das ist derzeit in Schladming nicht ungewöhnlich, denn die für diese Jahreszeit unübliche Wärme ist den meisten Menschen hier ein Ärgernis.

Brauchtum paradox: Auch in Hallein bei Salzburg wird der Winter vertrieben. Böse Geister ebenfalls. Kein Wunder bei diesem Anblick.

Auch in Hallein bei Salzburg wird der Winter vertrieben. Böse Geister ebenfalls. Kein Wunder bei diesem Anblick.

(Foto: Foto: AFP)

Alle warten sie auf Schnee. Oder wenn doch wenigstens der Frost käme, dann bliebe zumindest der Kunstschnee haften. Aber das Thermometer verharrt seit Tagen bei weit über null Grad, weshalb mit der Eröffnung der Skisaison am Wochenende die wenigsten rechnen. Doch Rudi Bauer hat ein anderes Problem.

Er zeigt auf sein Gewand, in das er sich vor einer halben Stunde hineingezwängt hat - ein zweiteiliger Lederanzug, aus dem unzählige Büschel Rosshaar quellen.

Hunderte Männer stehen auf dem Vorplatz der Brauerei und warten, bis sich der Zug formiert. Alle sind sie in Fell gehüllt, in echtes Haar von der Ziege, von der Gämse, vom Yak, vom Ross.

Um die Bäuche tragen sie breite Gürtel, von denen riesige Kuhglocken herunterbaumeln und schwere Eisenketten. Bei jedem Schritt bimmelt es, der Lärm ist fast unerträglich. Der Geruch nach Ziegenstall übrigens auch.

Fast zwölftausend Schaulustige warten am Wegesrand auf ein wenig Folklore. Für Rudi Bauer aber ist der Schladminger Krampuslauf, den er nun schon im 14. Jahr organisiert, weniger Unterhaltung als vielmehr das Aufrechterhalten eines heidnischen Brauchs.

Zwitter aus Mensch und Teufel

Damals, als die Menschen noch von der Natur lebten, stellte der Winter eine existenzielle Bedrohung für sie dar. Gerade in den Bergen waren die Essensrationen knapp, die Hütten eiskalt. Daher schufen sie den Krampus, ein Zwitterwesen aus Mensch und Teufel.

Mit seinem Gerassel und Geklapper sollte er den Winter vertreiben. Irgendwie ist das Treiben heute deshalb eine ziemlich paradoxe Situation in einem Alpendorf, das derzeit gerne die Wärme austreiben würde und sich nichts sehnlicher wünscht als den Winter, die Kälte und den Schnee.

Rudi hat noch andere Wünsche. Er findet es nicht so gut, dass die Krampusse in den vergangenen Jahren immer mehr wie "Aliens" aussahen. Im nächsten Jahr wird er dem "Science-Fiction-Trend" ein Ende setzen: Keine Latexanzüge mehr, keine Darth-Vader-Verschnitte. Stattdessen wieder "mehr Brauchtum".

Immerhin sind die Wintervertreiber zahlreich und international. 48 Vereine aus Österreich, Deutschland und Italien stehen in voller Montur parat. Inklusive der Masken trägt jeder der 900 Krampusse eine Last von etwa 25 Kilogramm.

Teurer Spaß

Auf das Kommando des Ordners stapfen die Teufel, Hexen und Geister, die Gevatter Tod und die Könige unter lautem Gebimmel los in Richtung Hauptplatz. Die Menschen hinter den Absperrgittern kreischen, wenn die Kolosse ihre Krallen ausfahren, auf die Menge zurasen, an den Gittern rütteln, ihre Ruten mit voller Wucht auf die Oberschenkel der Mädels klatschen.

Wirklich faszinierend machen die Krampusse jedoch die Gewänder und vor allem: ihre Masken.

Sie sind meist aus Zirbelholz gefertigt, in stundenlanger Arbeit geschnitzt, zum Teil von den Meistern der Zunft. "Die gesamte Montur kostet 1600 Euro", sagt Roland Schwammer, von Anfang an Mitglied der Bauer-Gruppe: "Man muss schon Idealist sein."

Am Stadtsaal angekommen, reißen sich die Krampusse ihre Masken vom Gesicht. Sie sind durchgeschwitzt, nur ein Bier schafft Erlösung. Rudi pellt sich aus seinem Oberteil, steht jetzt im frühlingshaft grünen T-Shirt da.

Der Winter ist verscheucht - für diesen Moment.

Morgen, spätestens übermorgen soll er dann aber bitteschön zurückkommen. Ein milder Winter, das wäre für die Menschen im Skiort Schladming eine existenzielle Bedrohung.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: