Birdwatching:Wiedehopf und Hefezopf

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Auch im Birdwatching-Entwicklungsland Deutschland reisen immer mehr Hobby-Ornithologen den Vögeln hinterher. Ist der Vogelbeobachtungsvirus ansteckender als die Vogelgrippe?

Hans Gasser

Für die deutsche Mönchsgrasmücke ist Spanien kein Thema mehr. Statt im Winter nach Süden zu ziehen, machen sich Schwärme des Singvogels auf nach Norden, ins gelobte Land: Großbritannien.

Auf der Vogelschutzinsel Trischen vor Friedrichskoog (Kreis Dithmarschen) gibt es 140 verschiedene Vogelarten. (Foto: Foto: dpa)

Wie Forscher herausfanden, haben die Tiere über Generationen gelernt, dass es im Winter in Wales oder Cornwall für sie mehr Futter gibt als in der Extremadura. Der Grund: Die Briten sind begeisterte Vogelfütterer.

Weit herum gekommen

Das geschieht natürlich nicht ohne Hintergedanken. In Wirklichkeit geht es ihnen darum, die Tiere zu beobachten. Birdwatching ist ein Volkssport auf der Insel, und so mancher Hobbyornithologe reist weit herum, um besonders seltene Arten zu sehen.

Und auch in Deutschland verbreitet sich, mitunter ansteckender als die Vogelgrippe, das Vogelbeobachtungsvirus. "Balz im Hochschwarzwald", "Wiedehopf und Hefezopf", "Ins Land von Adler und Großtrappe" - so heißen beispielsweise die Angebote im Reisenkatalog des Naturschutzbundes (Nabu) und des Landesverbandes für Vogelschutz Bayern (LBV).

26 Reisen werden offeriert, davon führen immerhin 15 in deutsche Naturschutzgebiete von Vorpommern bis in den Bayerischen Wald. "Der Reisemarkt rund um das Birdwatching ist einer der am schnellsten wachsenden in Deutschland", sagt Rainer Stoll, "zum Glück haben das andere Reiseveranstalter noch nicht erkannt". Als Eigentümer des Ökoreiseveranstalters "Travel-to-nature" organisiert er alle Nabu-Reisen und hat schon mehrere Preise gewonnen.

Bei aller Euphorie handelt es sich aber natürlich nur um eine Marktnische. 4000 Gäste hat Stoll 2004 in die Natur befördert, 600 von ihnen haben eine spezielle Vogelbeobachtungsreise gemacht. Weil aber die Nachfrage stetig anzieht, betreibt Stoll seit einiger Zeit zusammen mit einem Partner den Veranstalter "Birdingtours".

Thomas Griesohn-Pflieger ist der Teilhaber, und leitet als Autodidakt und Buchautor die Pilotreisen. Die Spezies der Vogelbeobachtungsreisenden sehe ungefähr so aus: Über 50, zu zwei Dritteln männlich, gebildet, wohlhabend. Und sie sage oft folgenden Satz: "Seit 40 Jahren will ich das machen, nie hatte ich Zeit, jetzt kaufe ich mir ein Fernglas und fahre mit."

Große Gruppen sehen mehr

Bei manchen der 30 über das Jahr verteilten Reisen nehmen nur zwei oder drei Leute teil, in Mallorca aber waren 32 Vogelgucker dabei, und auch die Reisen zu Großtrappen und Kranichen ins Havelland oder an die Nord- und Ostsee sind immer gut gebucht.

Große Gruppen seien für die Beobachtung nicht hinderlich, so Griesohn-Pflieger, im Gegenteil. "Es hat sich erwiesen, dass man sogar mehr sieht, weil jeder den anderen aufmerksam macht auf seine Entdeckungen."

Eine deutliche Zunahme von Vogelbeobachtungsreisen will Nikolaus Koch indes nicht ausmachen. Der Gründer von Dr.Koch Reisen veranstaltet seit 1974 ornithologische Exkursionen, und die Zahl der Teilnehmer ist in etwa konstant geblieben.

Ungefähr 500 buchen jedes Jahr bei ihm Reisen wie "Geier in der Nordtürkei" oder "Paradiesschnäpper in Usbekistan". Was sich jedoch geändert hat, ist die Nachfrage nach kurzen Trips im eigenen Land. Bisher nur im Ausland unterwegs, bietet Dr. Koch seit einem Jahr auch mehrere Reisen innerhalb Deutschlands an. Die deutschen Ziele liefen sehr gut, bestätigt auch Thomas Griesohn-Pflieger. "Verlängertes Wochenende, kurze, relativ günstige Anreise, das Konzept ist von den Städtereisen abgeguckt und bewährt sich."

Vor dem Helgolaender Wahrzeichen, dem Felsen "Lange Anna", aus Vögel beobachten. (Foto: Foto: AP)

Die Zielgruppe sind dabei nicht vorrangig die so genannten Twitcher, die möglichst viele Arten in kurzer Zeit abhaken wollen. "Es kommt vor", sagt Griesohn Pflieger, "dass 20 erwachsene Menschen eine Stunde lang in der Heide stehen und sich an einem Schwarzkehlchen erfreuen: Guck mal, jetzt hat es ein Würmchen, schau mal da kommt das Weibchen..."

Sie stehen Spalier

Neben denen, die kein Problem damit haben, zwölf Stunden täglich Vögel auszuspähen, gibt es eine viel größere Gruppe naturverbundener Reisender, für die die Vögel neben Nationalparkwanderungen und Stadtbesichtigungen nur ein Aspekt der Reise sind. Wenn nun, zwischen September und Oktober bis zu 40.000 Kraniche in Mecklenburg-Vorpommern Rast machen, dann werden da auch Reisegruppen von Studiosus oder dem ADAC mit Feldstechern Spalier stehen.

Dies ist auch das Prinzip der Reisen des Bundes für Umwelt und Naturschutz (Bund). "Die Reisenden, die bei uns buchen, wollen die Vielfalt erleben", sagt Bendedikt Bisbing, Geschäftsführer der Bund-Reisen. 30 verschiedene Angebote hat der Bund, alle in Naturschutzgebiete, alle mit der Bahn - und seien es 7500 Kilometer bis zum Baikalsee.

Das Fliegen überlässt man, weil ökologisch verwerflich, den Vögeln. Und die, seien es Weißstörche in Ostpolen oder Wasservögel am Baikal, gehören immer dazu - als eine von vielen Attraktionen.

Das Wollschweinprojekt

So eng sieht das Rainer Stoll von Travel to nature mit dem Fliegen nicht. Die Hälfte seiner Kundschaft bucht eine Reise nach Costa Rica, und da muss man nunmal hinfliegen. Um Aras, Tukane und überhaupt die Natur dafür wieder zu entschädigen, kauften viele Ökoreisende freiwillig "Atmosfair"-Zertifikate, mit denen wiederum klimaschonende Projekte unterstützt werden, sagt Stoll.

Überhaupt spielt die Förderung von Naturschutzprojekten bei den Vogelbeobachtungs- und Öko-Reisen eine nicht unbedeutende Rolle. So werden seit Jahren auf der Familienreise in Costa Rica gemeinsam Bäume gepflanzt, oder von den Einahmen der Ungarnreise fließt ein Prozentsatz der Gelder in ein Wollschweinprojekt. Die Schweine wühlen dann in der Puszta den Boden um, insektenreiche Tümpel enstehen, die lebenswichtig für Wasservögel sind.

Ein Geben und Nehmen also, und was den Reisemarkt betrifft, so kann sich Birdingtours durchaus ein wenig mehr Nehmen vorstellen, vor allem von den Briten. Die haben nun zwar im Winter die deutschen Mönchsgrasmücken, aber den Roten Milan, von dem 70 Prozent aller Paare weltweit in Deutschland brüten, haben sie nicht. Und auch Mauerläufer oder Mittelspecht sind bei uns viel besser zu beobachten.

Deshalb wird Birdingtours nächstes Jahr erstmals auf der Birdfair, der größten Ornithologenmesse auf der Insel, einen Stand aufbauen. Wenn nur ein winziger Prozentteil der vielen hunderttausend Birdwatcher bald mit Spektiv um den Bodensee oder durch den Schwarzwald stiefelt, wäre das schon ein großes Geschäft.

© Süddeutsche Zeitung vom 20. 9. 2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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