Behinderte:Nichts als Stolpersteine

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Behinderte Menschen suchen oft vergeblich nach den richtigen Informationen für Urlaub, der auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist.

Jochen Müssig

(SZ vom 15. 7. 2003 - ) Sechs Millionen Behinderte in Deutschland geben nach Angaben des statistischen Bundesamts jährlich 1,5 Milliarden Euro für Urlaubsreisen aus. Trotz dieser beachtlichen Zahlen bleiben Behinderte in der Tourismusbranche aber eine zu vernachlässigende Zielgruppe: Für sie und mit ihnen wird keine Werbung gemacht, von den Veranstaltern erhalten sie wenig brauchbare Informationen.

Beileibe nicht überall wird für behinderte Touristen so viel getan wie etwa am Strand von St. Peter-Ording an der schleswig-holsteinischen Nordeseeküste: Der Rollstuhl aus Plastik mit Ballonreifen kann von Behinderten im Urlaub gemietet werden. Diese können sich problemlos mit Begleitung auf dem Sandstrand bewegen. (Foto: dpa)

Behinderte als Reisemangel

Auch die Integrationsfähigkeit der Gesellschaft wird noch immer überschätzt. Zwar sollten die Zeiten vorbei sein, in denen der Anblick von Rollstuhlfahrern im Urlaubshotel noch als Reisemangel justitiabel wurde. 1980 entstand im bekannt gewordenen "Frankfurter Urteil" der Ausdruck vom Recht auf "behindertenfreien Urlaub", und noch 1992 wurden Schwerstbehinderte im "Flensburger Urteil" als Reisemangel anerkannt.

Nichtsdestotrotz wollen immer mehr Behinderte Urlaub machen wie Millionen anderer Menschen auch: Sonne, Sand und Blindenstock, Meer, Museum und Rollie - das sollen keine Widersprüche sein. Die technischen Voraussetzungen und der Service für Behinderte sind besser geworden: ob im Bus, im Zug, im Flugzeug oder in vielen Hotels. Sogar perfekt eingerichtete Behindertenhotels sind entstanden, etwa das "Haus Rheinsberg" im Land Brandenburg; es ist mit 108 Zimmern das größte für Behinderte in Deutschland.

Hindernislauf beginnt bei der Informationssuche

Doch bei der Vorabinformation liegt vieles noch im Argen. Eine behindertengerechte Reise vorzubereiten, braucht viel Zeit, und der Hindernislauf beginnt schon bei der Suche nach Informationen oder im Reisebüro. Randgruppen passen nicht ins Verkaufsschema, das nach Staffelprovisionen funktioniert. "Wenn ich im Reisebüro nach einem Grundriss vom Hotelzimmer frage, dann schaut mich die Expedientin an, als sei ich verrückt", sagt Rollstuhlfahrerin Andrea Vammer. Ein Anruf, ein Fax oder ein Mail? Keine Zeit!

Bleibt also die zeitaufwändige Eigenrecherche: Adressen ausfindig machen und selbst anrufen, um wichtige Details abzufragen. Aber: "Viele von Ihnen wissen aus leidvoller Erfahrung, dass Informationen, die man selbst per Telefon oder Fax anfordert, oft nicht stimmen", heißt es im Katalog des auf Behindertenreisen spezialisierten Anbieters rfb-Touristik.

Checkliste für Behinderte im Reisekatalog

Deshalb macht der Veranstalter bei der Besichtigung von Unterkünften eine Checkliste, bei der von der Türbreite bis zur Höhe des Lichtschalters ausgemessen wird, was wichtig sein könnte.

Auch einschlägige Reiseführer helfen mit Adressen und exakten Angaben. Fachbuchautor Yvo Escales stellt in der 14., überarbeiteten Auflage von "Handicapped Reisen" in zwei Bänden Ziele im In- und Ausland vor. Im Internet bieten Städte von Hannover bis Palm Springs Web-Führer für Behinderte. Handicaptravel weist auf seiner Homepage auf Reiselinks, Reisebörse und das "Wer-hilft-Wem"-Programm hin.

Auch der Staat informiert

Sogar der Staat gibt Auskunft: über die von ihm finanzierte NatKo, die Nationale Koordinationsstelle Tourismus für Alle, die über Verbände und Organisationen, Veranstalter und Initiativen sowie über die individuell unterschiedliche Bezuschussung von Urlaub behinderter Menschen informiert.

Das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung fördert auch das Fernsehreisemagazin "Grenzenlos". Seit Sommer 1998 macht "Grenzenlos" Reisevorschläge und zeigt touristische Angebote für Behinderte: alle zwei Monate am jeweils dritten Samstag bundesweit auf DSF (nächste Sendung: 19. Juli 2003, 11.45 Uhr). "Ob Fallschirmspringen, Segeltörns oder Fotosafaris: Die Urlaubsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung haben sich erheblich verbessert", sagt Produzent Hermann Hoebel.

Um 20 Prozent teurer

Auf der alljährlichen Internationalen Tourismus Börse (ITB) in Berlin sind Veranstalter, die Gruppenreisen für Behinderte anbieten, dennoch dünn gesät. In Deutschland ist die Auswahl beschränkt auf rund zehn etablierte Veranstalter, deren Reisen um etwa 20 Prozent teurer sind als die der Konkurrenz.

"Umgerüstete Fahrzeuge und mehr Personal kosten auch mehr Geld", sagt Michael Geiss vom seit 1999 bestehenden Anbieter mare nostrum, der einen recht ansehnlichen Katalog aufgelegt hat. "Wir haben 50 Reisen zu 25 Zielen von Deutschland übers griechische Chalkidiki bis Ecuador im Programm", so Geiss.

Auf solchen Gruppenreisen bleiben Behinderte dann aber meist unter sich. Und kommen doch einmal gemischte Reisen zustande, "sind viele Leute ganz schnell weg, um bloß nicht helfen zu müssen", weiß Andrea Vammer.

Für TUI nur ein Randgeschäft

Branchenprimus TUI hat - im Gegensatz zu Thomas Cook und der Rewe-Gruppe - immerhin einen Sonderkatalog für Menschen mit Behinderungen. Aber der wird im Reisebüro nicht ausgegeben, sondern dient nur als Hilfe für die Verkäufer. "Das Produkt ist sehr beratungsintensiv", sagt TUI-Sprecher Bernd Rimele, "die Leute müssten wegen der Bestellung für Transfers und Flüge ja sowieso ins Reisebüro." Deshalb also kein Katalog für die Endverbraucher zum Mitnehmen. 20.000 behinderte Gäste waren es im letzten Jahr bei der TUI - für den Reisegiganten eben nur ein Randgeschäft.

Doch gerade der halben Million Rollstuhlfahrer in Deutschland fehlt oftmals nichts anderes als die richtigen Informationen - etwa über ein Hotel mit rollstuhlgerechten Einrichtungen. "Manche Hotels", sagt Andrea Vammer, "meinen es dann aber einfach zu gut: Bei einem Aufenthalt in Istanbul mussten wir die Tür zum Bad aushängen, weil ich sonst mit meinem Rollstuhl nicht um die Ecke gekommen wäre. Und jeden Tag hing die Tür wieder in den Angeln, wenn wir ins Zimmer zurückkamen."

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