Bedrohliche neue Entwicklungen:Das schmutzige Geschäft mit dem fernen Sex

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Trotz massiver Aufklärungs-Kampagnen über den internationalen Sextourismus boomt die Branche gerade in Südost-Asien. Vor allem die drastisch gestiegene Kinderprostitution bereitet Sorgen.

NINA BERENDONK

Als der französische Autor Michel Houellebecq 2002 in seinem Roman ¸¸Plattform" Sextourismus und Kinderprostitution zu rechtfertigen schien, war das Entsetzen groß. Bis heute streiten Kritiker, wie der Roman zu bewerten sei. Eines aber zeigt die Aufregung von damals deutlich: Prostitutionstourismus ist ein Tabu - ganz besonders für die Tourismusindustrie. Denn das Geschäft mit dem Sex bedient sich der vorhandenen touristischen Infrastruktur.

Tourismuskritiker formulieren es noch drastischer: ¸¸Ein solcher Tourismus, der nur wenigen zu immensen Einnahmen verhilft, zementiert die ungerechten Weltwirtschaftsstrukturen und hat gravierende (. . .) Folgen für die Bewohner in den bereisten Ländern", schreibt Mechtild Maurer von der Kinderrechtsorganisation Ecpat in ihrem Buch ¸¸Tourismus, Prostitution, Aids". Sie folgert: ¸¸Somit trägt der Tourismus selbst zu den Bedingungen bei, die die Menschen in den informellen Sektor, zur Bettelei, Kriminalität und insbesondere die Frauen und Kinder zur Prostitution zwingen."

Die Tourismusbranche hat das Problem durchaus erkannt: Seit 1998 gibt es einen von Ecpat, der Welttourismusorganisation (WTO) und einer Gruppe schwedischer Reiseveranstalter initiierten ¸¸Code of Conduct", den inzwischen auch die Mitglieder des Deutschen Reisebüro- und Reiseveranstalter-Verbands (DRV) übernommen haben. Der Verhaltenskodex zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung schreibt die Information von Mitarbeitern und Kunden im Herkunfts- und im Zielland vor. Ferner fordert er einen jährlichen Bericht über umgesetzte Maßnahmen sowie die Herausgabe eines Aufklärungsfaltblattes. Der Flyer ¸¸Kleine Seelen, große Gefahr . . .", den die DRV-Mitglieder an ihre Kunden weitergeben, wird von der Europäischen Kommission und dem Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend mitfinanziert.

Das Kinderhilfswerk terre des hommes setzt bei der Aufklärung auf Kurzfilme, auffällige Plakataktionen und das Internet. Mit dem TV-Spot ¸¸Words", der seit April 2003 unter anderem auf Viva ausgestrahlt wird, richtet sich terre des hommes speziell an junge Reisende, um frühzeitig für das Thema zu sensibilisieren. Seit Oktober 2001 gibt es außerdem die Internetseite www.child-hood.com, die sowohl Reisende als auch die Reiseindustrie aufklären soll; sie bietet neben Auskünften und Links zu einzelnen Reiseländern unter anderem auch konkrete Handlungsvorschläge.

Zufrieden sind die Hilfsorganisationen mit dem bisher Erreichten aber nicht. ¸¸Wir haben eine gute Resonanz auf unsere Spots und die Website", berichtet die Referentin für Kinderrecht bei terre des hommes, Christa Dammermann. In Staaten, die den Kampf gegen die sexuelle Ausbeutung von Kindern aufgenommen haben, gäbe es inzwischen mehr Verhaftungen. ¸¸Aber es sind noch zu viele Opfer." ¸¸Wenn wir nicht immer wieder mahnen und schieben, dann vergisst die Branche ihre Verantwortung sehr schnell," sagt Mechtild Maurer von Ecpat.

Bedrohliche neue Entwicklungen seien die Verbreitung von Pornografie, die den Missbrauch dokumentiert und anschließend ins Netz gestellt wird und der zunehmende Prostitutionstourismus nach Osteuropa. Wie Maurer von den Kriminalämtern weiß, unternehmen immer mehr Prostitutionstouristen jährlich eine große Fernreise und mehrere kürzere Osteuropa-Fahrten; oft übers Wochenende. ¸¸Das Schlimmste ist, dass die dortigen Reiseveranstalter absolut kein Problembewusstsein haben", so Maurer. Vor allem an den deutschen Grenzen zu Polen und Tschechien weitet sich die Prostitution aus - ein Problem, das sich mit der EU-Osterweiterung im Mai dieses Jahres noch verschärfen dürfte.

Als älteste Sex-Destinationen gelten indes südostasiatische Länder; vor allem Thailand, wo heute ungefähr jede zehnte Frau von der Prostitution lebt. Aufgrund verschärfter Gesetze weichen viele Sextouristen aber inzwischen nach Kambodscha oder Vietnam aus. In Lateinamerika sind Brasilien, Kuba oder die Dominikanische Republik bevorzugte Ziele - laut Misereor leben dort 40 000 Frauen und Kinder von der Prostitution. In Afrika reisen Sextouristen nach Kenia und in jüngster Zeit auch nach Simbabwe und Namibia.

400 000 Prostitutionstouristen soll es Schätzungen zufolge in Deutschland geben. Soziologen und Psychologen bemühen sich seit langem weitgehend vergeblich, Täterprofile zu erstellen. Grundsätzlich haben die Experten lediglich herausgefunden, dass der durchschnittliche Sextourist männlich und 35 bis 37 Jahre alt ist, dass er einen durchschnittlichen Bildungsgrad besitzt und in allen Berufsschichten anzutreffen ist.

Weil die Täter nur schwer zu identifizieren sind, bleibt es auch schwierig, sie zu verfolgen. Zumal nationale und internationale Behörden noch immer mangelhaft ermitteln und zusammenarbeiten. Immerhin: Mit der Einführung des Exterritorialprinzips im Jahre 1993 können inzwischen deutsche Staatsangehörige nach deutscher Rechtslage für den sexuellen Missbrauch von Kindern im Ausland bestraft werden.

© Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr.57, Dienstag, den 09. März 2004 , Seite 48 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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