16. Station: Um Colombo herum werden die ersten Koffer gepackt:Melancholie im Stauraum

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Allmählich beginnen die Abschiedsvorbereitungen. Man übt schon Koffer packen.

Großes, grellblaues Wetter über dem Teil des Pazifiks, den wir auf glattem, glänzenden Wasser durchfahren. Heiß, sehr heiß, schon morgens um halb acht 26 Grad. In der Luft außerdem viel Feuchtigkeit. Kaum Wind, nur die Kleinigkeit, die das Schiff beim Fahren selbst herstellt, nicht der Rede wert. Es wird wieder ein schöner, schwerer Tag auf See werden. Man sollte heute der Innenwelt der MS Deutschland den Vorzug geben. Räume mit besten Aussichten in das phantastisch auftrumpfende Wettergeschehen hinein sind genügend vorhanden. Man könnte aber auch ...

Ein untrügliches Zeichen für das nahende Ende einer Reise (oder auch ihren Beginn): gepackte Koffer, die der Abholung harren (Foto: Foto: AP)

Viel hatten wir uns vorgenommen. Unglaublich, wie schnell der Tag weg ist auf einem Kreuzfahrtschiff. Oder an Land, in den Häfen, in fremden Städten, auf Ausflügen in den ungekannten Ländern. Oder eben an Bord. Alle jammern darüber.

Doch heute gibt es dafür keine Gelegenheit, denn wir liegen im Hafen von Colombo. Eigentlich - so war das doch bis jetzt immer - müsste das Landgangsfieber auch unsere blonde Frühstücksfreundin aus dem Lido-Gourmet ergriffen haben. Seltsamerweise ist sie diesmal aber nicht angesteckt worden. Also draußen an Deck schlafen will sie nicht. Und einen der drei Ausflüge macht sie auch nicht mit, obwohl sie in anderen Ländern immer dabei war, wenn es in die Busse ging.

In die Stadt? Einfach so ein bisschen rumgehen, flanieren? Leute ansehen, sich durch Basare drängeln, hier und da um ein Erinnerungsstück feilschen, irgendwo ein kühles Getränk einnehmen? Was ist los mit der Weltreisenden? Andere aus der Gruppe der Um-die-Welt-Fahrer zeigen, wenn auch schwächer, ähnliche Symptome.

Aufgeräumte Stimmung

Beim Abendbuffet sehen wir uns wieder im Lido-Gourmet. "Na, was hast du heute gemacht?" Die erste Antwort auf diese Eröffnungs-Pflichtfrage an Bord ist noch völlig unverfänglich. "Aufgeräumt", sagt sie, "Sachen weggeräumt." Jeder, der länger mit einem Schiff unteregs war, kennt das. Im Verlauf der Reise wird die Kabine immer kleiner. Die vielen Dinge, die Mitbringsel für die Lieben daheim, breiten sich aus wie lebendige Wesen, immer weiter, immer unverschämter. Bald hat der Bewohner selbst kaum noch Platz in seinem Refugium. Also aufräumen, umräumen, wegräumen - das ist völlig üblich, völlig normal.

Aber der nächste Satz lässt aufhorchen. Die Reisefreundin sagt: "Ich hab mir schon mal einen Koffer geholt." Das ist es. In diesem Satz steckt des Rätsels Lösung. Vielleicht.

Die großen Koffer, die so ein Weltreisender braucht, liegen, meist leer geräumt, übereinander in Stauräumen, die über alle Passagierdecks gleichmäßig verteilt sind. Es ist gar nicht so einfach und auch nicht üblich, immer wieder einen dieser notwendigen Behälter hervorzuzerren und mühselig in die eng gewordene Kabine transportieren zu lassen.

Man erinnert sich der Koffer

Das Restaurant Lido Gourmet auf Deck 9 - morgens zu früher Frühstückszeit. (Foto: Foto: Podak)

Kein leichter Job für die Kabinenstewardess, denn der Koffer, der da umständlich identifiziert und rübergebracht worden ist, muss ja, das weiß die Kabinenstewardess aus langer, schmerzlicher Erfahrung, wieder zurück in den Stauraum - in, auf, unter den Stapel, wo die anderen liegen, zu denen er gehört. In der Kabine wird er nicht bleiben, der hervorgeholte Koffer. Man käme überhaupt nicht mehr hinein.

Die großen Koffer, die so ein Weltreisender braucht, liegen, meist leer geräumt, übereinander in Stauräumen, die über alle Passagierdecks gleichmäßig verteilt sind. Es ist gar nicht so einfach und auch nicht üblich, immer wieder einen dieser notwendigen Behälter hervorzuzerren und mühselig in die eng gewordene Kabine transportieren zu lassen.

Man erinnert sich der Koffer

Kein leichter Job für die Kabinenstewardess, denn der Koffer, der da umständlich identifiziert und rübergebracht worden ist, muss ja, das weiß die Kabinenstewardess aus langer, schmerzlicher Erfahrung, wieder zurück in den Stauraum - in, auf, unter den Stapel, wo die anderen liegen, zu denen er gehört. In der Kabine wird er nicht bleiben, der hervorgeholte Koffer. Man käme überhaupt nicht mehr hinein.

Was hat sie gemacht mit dem Koffer, die Reisegenossin? "Ich hab schon mal probiert, wie ich alles unterbringe", erklärt sie. "Später gibt das so eine Hektik."

Donnerwetter. Noch 25 Tage bis Venedig, bis zum unwiderruflichen Abschied von allem Weltreisewesen - und sie übt das Packen. Die Abschiedstrauerarbeit hat begonnen - fast einen Monat, bevor die Welt völlig umrundet ist, bevor dieses große, wohlgeordnete Abenteuer zu Ende ist.

Gesättigte Geister

Wir verstehen jetzt das langsam häufiger zu beobachtende Abwinken, Abwehren, wenn jemand in Gesprächsrunden mit zu vielen fremden Details über die Reiseorte daherkommt. Man kann und man will gar nicht mehr so viel Neues erfahren. Die meisten Gedächtnisspeicher sind gefüllt, die Geister gesättigt. Die Weltreisenden haben begonnen, eine Elefantenhaut zu entwickeln, durch die nur noch starke Reize dringen.

Wir sind aufmerksam geworden. War in letzter Zeit am Essenstisch, um dessen Abwechslung sich 60 Köche bemühen, nicht oft der Wunsch nach deutscher Hausmannskost zu hören, nach kräftiger Erbsensuppe, die es hier freilich manchmal als Vorspeise gibt, aber auch nach Sülze mit Bratkartoffeln?

Zurück in die Realität

Eine Mitreisende gebrauchte in letzter Zeit auffällig oft das Wort "unwirklich". An Bord sei doch alles so unwirklich. So könne es doch nicht immer weitergehen. Man müsse endlich in die Realität zurück. Bald.

Interessante Bemerkung. Da ist man aufgebrochen vor 112 Tagen, um die vielfältige, vielstimmige Fremdheit der weiten Welt per Umrundung zu erkunden. 137 Tage insgesamt sind am Ende doch nicht zu viel zur Erreichung des großen Zwecks. Es gibt Reisekollegen, die mäkelten anfangs gern, weil nicht jedes Ziel, das sie in ihren Träumen vor sich gesehen hatten, erreicht werden konnte auf dem gewaltigen Trip.

Man hört sie nun nicht mehr mäkeln. Nur manchmal grummeln sie noch ein bisschen: vom Amazonas zum Beispiel, wo wir nicht waren, vom Panama-Kanal, durch den wir nicht gefahren sind. Und davon, dass China doch größer und anders ist als Taiwan, Shanghai oder Hongkong, wo wir uns kurz aufgehalten haben. Aber die Weltreise deswegen ändern, verlängern?

Zwei Typen von Reisenden

Es gibt, wenn wir uns einmal auf das unsichere Gelände der Mikrosoziologie vorwagen, offenbar mindestens zwei Grundtypen von Reisenden, die lange, ruhige Reisen mit der Geschwindigkeit von 30 Kilometern in der Stunde schätzen: solche, die viel Fremdes, Unbekanntes, ja auf den ersten Blick Befremdliches, Unverständliches sehen und erleben wollen.

Und die anderen - es scheint die Mehrheit zu sein -, die auch das Fremde suchen. Aber es soll nicht allzu fremd sein. Man muss etwas Vertrautes, der eigenen üblichen Alltagswelt Vergleichbares darin entdecken können. Sonst ist es auf Dauer nicht zu ertragen. Es macht einen sich selbst fremd. Dass gerade darin eine Chance liegen kann, ist offenbar schwer zu begreifen und zu ertragen.

Goethe, der durch und durch positiv gestimmte Goethe, ein großer Reisender, wie wir wissen, sagte einst zu Eckermann: "Der Mensch muss wieder ruiniert werden." Vielleicht hat er diese zerstörerische Erfahrungsmöglichkeit des Reisenden mitgemeint in diesem Satz. Reisen, ausführlich reisen, ist wohl eine Kunst. Wir alle üben weiter. Noch 25 Reisetage lang. Demnächst auf den Malediven. Der Koffer bleibt vorerst im Stauraum.

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