Zensus:Wenn der Zähler nicht mehr klingelt

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Erstmals seit 1987 soll es in Deutschland 2010 und 2011 wieder eine Volkszählung geben. Anders als bei der heftig umstrittenen Erhebung werden diesmal nur Melderegister aufgefrischt. Grüne und FDP begrüßen das Verfahren, gegen "herausgeschmissenes Geld" protestiert die Linkspartei.

Christopher Stolzenberg

"Was tun, wenn der Zähler kommt?" Konkrete Tipps versprach der Flyer bei der letzten Zählung 1987. Allerorten verteilten die Gegner der Volkszählung ihre Tipps, wie man die Volkszählung umgehen kann. Den Älteren springen solche Szenen des Widerstands schnell ins Gedächtnis, wenn sie von dem Beschluss der Bundesregierung für eine erneute Volkszählung hören. Anders als vor 20 Jahren sprechen sich heute die Kritiker vielmehr für einen neuen Zensus aus. Denn der Zähler wird nicht mehr nach Hause kommen.

"Der Staat war damals in die Privatsphäre der Bürger eingedrungen", sagt Grünen-Politiker Volker Beck. Heute ist die Situation anders. (Foto: Foto: AP)

Aktuelle Register bilden nicht die Wahrheit ab

Eine neue Volkszählung sei notwendig geworden, weil durch Zu- und Abwanderung und Geburten und Sterbefälle die Register der Stadt nicht mehr aktuell sind, sagt Bernd Stürmer vom Bundesamt für Statistik. Zwar wurden die Zahlen von 1987 mit Hilfe des Mikrozensus fortgeschrieben. "Doch die Register können wir nicht mehr als Wahrheit übernehmen", so Stürmer, zumal die letzte Erhebung für das Gebiet der ehemaligen DDR nicht mehr zuverlässig sei. Gründe genug, sich in fünf Jahren an der EU-weiten Aktion zu beteiligen.

Zu wissen, wie viele Menschen in Deutschland leben, ist notwendig, um beispielsweise öffentliche Fehlinvestitionen in der Wohnungsbaupolitik zu verhindern. So hatten die Stadtplaner in einigen Großstädten beim letzten Mal den Bedarf an Sozialbauwohnungen zu hoch angesetzt, die Baumaßnahmen liefen aber schon. Auch für einen gerechten Länderfinanzausgleich sowie die Einteilung der Wahlkreise ist die genaue Kenntnis der Bevölkerungszahl notwenig.

"Traditionelle Volkszählung" wäre zu teuer

Die Bundesregierung plant für die nächste Volkszählung ein anderes Verfahren als 1987. Auf der Grundlage der in den Melderegistern sollen die Stadtverwaltungen bereits vorhandene Daten, wie Familienstand, Alter und Staatsangehörigkeit, überprüfen. Diese Vorgehensweise sei kostengünstiger und für den Bürger weniger belastend, heißt es aus dem Bundesinnenministerium. Eine "traditionelle Volkszählung" würde heute mehr als eine Milliarde Euro kosten.

Dieses Mal sollen nur die gespeicherten Daten aus den Einwohnermeldeämtern und der Arbeitsagentur zusammengefasst werden. Damit ist aber nur ein Teil der Bevölkerung gezählt, denn in den Melderegistern haben sich mittlerweile zahlreiche Karteileichen angehäuft. Und bei der Arbeitsagentur sind Beamte und selbständig Beschäftigte nicht erfasst.

Daher bekommen in einem zweiten Schritt sieben Millionen Bürger, ungefähr zehn Prozent der Bevölkerung, einen Fragebogen zugeschickt, um die ersten Bevölkerungszahlen zu ergänzen. Dieses Verfahren sei wie beim regulär erhobenen Mikrozensus, bei dem aber nur 1000 Einwohner befragt würden, sagt Stürmer.

Grüne und FDP fordern mehr Transparenz

Eine große Gefahr für den Datenschutz bestehe nicht, sagen selbst einstige Gegner der Volkszählung. "Es ist wünschenswert, nach einer Zäsur wie der deutschen Einheit, wieder eine stabile Grundlage zu haben", sagt Volker Beck, parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen, sueddeutsche.de. Er hatte sich 1987 wie viele andere sogar als Zähler gemeldet, um auf diese Weise die staatliche Erfassung der Bevölkerung zu unterlaufen.

"Der Staat war damals in die Privatsphäre der Bürger eingedrungen", sagt Beck. Durch die "reale Befragung" sei versucht worden, neue, nicht vorhandene Daten zu erstellen. Und der Staat verletzte den Datenschutz, protestierten die Grünen damals. Ein massives Problem, auf das auch das Bundesverfassungsgericht schon 1983 mit seinem grundlegenden Urteil zum Datenschutz antwortete und die für das gleiche Jahr geplante Volkszählung um vier Jahre verschob.

Heute ist die Situation anders. "Es macht einen wichtigen Unterschied, dass ich meine Daten freiwillig abgeben kann", sagt Beck. Außerdem lägen die erforderlichen Daten schon vor. Wichtig sei es, Datenmissbrauch zu verhindern. Daher müssten die durch den Zensus erhobenen Einzeldaten nach ihrer Auswertung gelöscht werden.

Das Prinzip der freiwilligen Informationsabgabe und der Transparenz sehe er viel mehr beeinträchtigt, wenn private Stellen Daten von Bürgern sammelten. Der Grünen-Politiker plädiert daher für mehr Transparenz bei der Datensammlung und eine Zertifizierung von vertrauenswürdigen Firmen.

"Das Ganze muss für den Bürger transparent sein"

Gisela Piltz von der FDP teilt Becks Befürchtungen. "Ich sehe das mit Schrecken, wie freiwillig die Leute ihre Daten rausgeben", sagt die innenpolitische Sprecherin der liberalen Bundestagsfraktion sueddeutsche.de. Auch zweifele sie an den Aussagen der Statistiker, dass die vorliegenden Daten nicht ausreichten. "Warum machen wir dann so viel statistische Arbeit, wenn sie am Ende fehlerhaft ist?"

Eine Voll-Volkszählung, wie in den 80er Jahren, hält Piltz für "statistischen und ökonomischen Unsinn". Daher sei die Entscheidung für das registergestützte Verfahren grundsätzlich zu begrüßen, sagt Piltz. Die FDP fordere aber die Bundesregierung auf, die vom Bundesverfassungsgericht im Volkszählungsurteil aufgestellten Grundsätze schon dann strikt zu beachten, wenn sie den Gesetzentwurf vorbereite.

Auch müsse die Bundesregierung die seit 1983 veränderten technologischen Rahmenbedingungen berücksichtigen, sagt Piltz. Statistische Daten dürften nur zu dem Zweck genutzt werden, für den sie erhoben würden. "Das Ganze muss für den Bürger transparent sein", sagt die FDP-Politikerin.

Nur für die Linksfraktion reicht die Begründung der großen Koalition für den neuen Zensus nicht aus. "Nach kurzer Zeit sind die Daten einer Volkszählung nicht mehr aktuell", sagte die Innenpolitikerin Ulla Jelpke. "Eine halbe Milliarde Euro für Daten, die schnell wieder veraltet sind, ist herausgeschmissenes Geld."

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