Zeitverträge:Karlsruher Korrektur

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Das Bundesverfassungsgericht schützt mit einem Urteil Arbeitnehmer vor Kettenbefristungen.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Spätestens mit dem Koaliti-onsvertrag hat das sperrige Wort eine ge-wisse Bekanntheit erlangt. Die "sachgrundlosen" Befristungen, so haben Union und SPD vereinbart, sollen eingedämmt werden - also jene immer mehr um sich greifenden Zeitverträge, die sich nicht auf einen gesetzlich vorgesehenen Befristungsgrund wie Vertretung oder Erprobung stützen. Nun bekommen die Pläne Rückenwind aus Karlsruhe: Das Bundesverfassungsgericht hat die eher arbeitgeberfreundliche Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Thema Befristung korrigiert - und zugleich den Schutz der strukturell unterlegenen Arbeitnehmer vor "Kettenbefristungen" als wichtiges Ziel des Grundgesetzes bezeichnet.

Die Entscheidung diene einem wichtigen sozialstaatlichen Ziel: dem Schutz vor Unsicherheit

In mehreren Fällen hatten Arbeitnehmer auf einen unbefristeten Arbeitsvertrag geklagt, mit dem Argument, ihr befristeter Vertrag sei nicht der erste Job beim selben Arbeitgeber. Tatsächlich erlaubt die derzeit geltende Regelung zwar eine "sachgrundlose" Befristung von bis zu zwei Jahren. Weil das aus Zeiten der rot-grünen Koalition stammende Gesetz aber aneinandergereihte Zeitverträge verhindern will, ist eine neuerliche Befristung verboten, wenn der Arbeitnehmer "bereits zuvor" beim selben Betrieb beschäftigt war. Das Bundesarbeitsgericht indes hatte diese Formulierung etwas aufgeweicht: Ein neuer Zeitvertrag sei zulässig, wenn seit der letzten Beschäftigung mehr als drei Jahre vergangen seien. Nach den Worten der Karlsruher Richter hat das oberste Arbeitsgericht damit die "Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung" überschritten - also etwas aus dem Gesetz herausgelesen, was dort nicht drinsteht. Die Karenzzeit von drei Jahren für neue Zeitverträge gilt also fortan nicht mehr. Nur in Randbereichen darf laut Verfassungsgericht trotz vorheriger Beschäftigung erneut befristet werden - wenn der letzte Job sehr lange zurückliegt oder sehr kurz war. Gemeint sind zum Beispiel kleine Nebenjobs während der Studien- oder Familienzeit oder eine Arbeit als Werkstudent.

In seiner Begründung macht der Erste Senat deutlich, dass ein Verbot von Kettenbefristungen einem wichtigen sozialstaatlichen Ziel dient - dem Schutz vor Unsicherheit und sozialen Nachteilen. Sachgrundlose Befristung werde oft nur notgedrungen akzeptiert. Zwar sei auch das Interesse der Arbeitgeber anerkennenswert, auf schwankende Auftragslagen flexibel reagieren zu können. Zugleich habe der Schutz der Beschäftigten aber einen hohen Stellenwert: "Der Arbeitsplatz ist in aller Regel die wirtschaftliche Existenzgrundlage. Lebenszuschnitt und Wohnumfeld werden davon ebenso bestimmt wie gesellschaftliche Stellung und Selbstwertgefühl, gesellschaftliche Teilhabe und Zukunftschancen."

© SZ vom 14.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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