Zeitgeschichte:Nie zu spät

Behörden und Ministerien erforschen ihre dunkle Zeit.

Von Joachim Käppner

Während des Historikerstreits der Achtzigerjahre - der selber schon ein halb vergessenes Stück Geschichte ist - warnten prominente Rechtskonservative davor, die Nation könne vor lauter Beschäftigung mit den Verbrechen der Nazizeit den "aufrechten Gang" verlernen. Das war damals schon Nonsens, aber die Überlegung ist nicht ohne Reiz, was diese Leute heute wohl sagen würden.

Die Beschäftigung mit dem größten Zivilisationsbruch der Geschichte, mit Schoah und Vernichtungskrieg, ist eine Generation danach noch viel intensiver geworden. Das viel befürchtete Vergessen lässt auf sich warten, glücklicherweise. Der Bundesnachrichtendienst, der Verfassungsschutz, das Bundesjustizministerium, selbst die Geologen spüren ihrer braunen Vergangenheit nach. Man kann natürlich fragen: Jetzt erst? Aber für Einsicht ist es nie zu spät.

All diese Forschungen belegen, wie tief das nationalsozialistische System die Gesellschaft durchdrang, wie viele aus Fanatismus, Fatalismus oder Opportunismus mitmachten und wie erlogen die Behauptungen solcher Institutionen und Behörden waren, man habe eigentlich nur seine Pflicht getan und mit "den Nazis" wenig zu tun gehabt. In Zeiten des verantwortungslosen Populismus ist es daher gut, an die Verantwortlichkeit des Einzelnen zu erinnern, auch ein Dreivierteljahrhundert danach.

© SZ vom 11.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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